Quantenelektrodynamik in einem relativistischen Drei-Elektronen-System

Forschern gelingt der bisher genaueste Test der relativistischen Mehrelektronen-Rechnungen in einem einzelnen lithiumähnlichen Siliciumion

Die Quantenelektrodynamik zählt heute zu den am besten überprüften Theorien in der Physik. Sie beschreibt die Wirkung von elektromagnetischen Kräften und bestimmt die Struktur von Atomen und Molekülen. Zu den größten Herausforderungen dieser Theorie zählt neben ihrem Verhalten in sehr starken elektrischen Feldern die Beschreibung von Mehrelektronensystemen. Eine Forschergruppe des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg hat nun gemeinsam mit Kollegen von der Universität Mainz und dem GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung die magnetischen Eigenschaften von einem einzelnen lithiumähnlichen Siliciumion mit, in Mehrelektronensystemen, bisher unerreichter Präzision vermessen. Physical Review Letters, 15.01.2013

Vor einem Jahrhundert legte Niels Bohr mit seinem Atommodell einen der Grundsteine für die Entwicklung der Quantenphysik und damit zum modernen Verständnis der Struktur der Materie. Seither wurde die Messgenauigkeit der Experimente immer weiter verfeinert, was nach den großen Erfolgen der Quantenmechanik schließlich zur Erweiterung auf eine allgemeine Theorie der elektromagnetischen Kräfte zwischen geladenen Teilchen führte: der Quantenelektrodynamik (QED). Diese gilt heute als eine der am besten überprüften Theorien in der Physik überhaupt und dient als Modell für andere fundamentale Theorien.

Der bisher genaueste Test der QED ist die Bestimmung der Magnetisierung (magnetisches Moment) des freien Elektrons. Das Elektron besitzt einen Eigendrehimpuls (Spin) und als geladenes Teilchen erzeugt es gleich einem mikroskopisch kleinen Kreisel ein Magnetfeld. Wie stark die Magnetisierung des Elektrons ist, wird durch den sogenannten g-Faktor beschrieben. In der relativistischen Quantenmechanik sollte dieser für das freie Elektron exakt den Wert 2 haben. Abweichungen davon sind ein Einfluss der Umgebung. Dazu zählt – wie die QED zeigt – schon das scheinbar leere Vakuum, welches aber von ‚virtuellen‘ Teilchen erfüllt ist.

Trotz des ungeheuren Erfolges der QED interessiert die Wissenschaftler, ob es einen Bereich gibt, z. B. in sehr starken Feldern, in dem die Theorie ihre Gültigkeit verliert. Solch hohe Felder lassen sich nicht direkt im Labor herstellen, sie herrschen aber auf natürliche Weise im Inneren von Atomen. So beträgt das elektrische Feld des Protons, welches das Elektron im Wasserstoffatom spürt, etwa 5 Milliarden Volt pro Zentimeter. Nimmt man statt einem Proton einen höher geladenen Kern, so kann man um Größenordnungen stärkere Felder erreichen. Einer Gruppe von Forschern um Klaus Blaum vom Heidelberger Max-Planck-Institut für Kernphysik war es gemeinsam mit Kollegen von der Universität Mainz und dem GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung 2011 gelungen, einzelne wasserstoffartige, also 13-fach geladene, Siliciumionen in einer speziellen Ionenfalle zu speichern und den g-Faktor des Elektrons auf die 10. Nachkommastelle genau zu bestimmen. Für diese präziseste Messung des g-Faktors für ein gebundenes Elektron erhielten Anke Wagner, Sven Sturm und Klaus Blaum den Helmholtz-Preis 2012.

Als nächsten Schritt untersuchten die Physiker ein 11-fach geladenes Siliciumion, das wie das Element Lithium drei Elektronen besitzt. Im Vergleich zum wasserstoffartigen System kommt hier noch die Wechselwirkung der Elektronen untereinander hinzu und ermöglicht somit einen Test der Mehrelektronen-Rechnungen. Die Messung des g-Faktors gelang mit einer Genauigkeit auf die 9. Nachkommastelle und ist die bislang genaueste Messung des g-Faktors eines solchen Systems aus mehreren Elektronen. Auch die theoretische Beschreibung ist eine Herausforderung in mehrfacher Hinsicht, denn das Verhalten der Elektronen, die mit dem Kern ein Vierkörpersystem bilden, ist durch relativistische Effekte dominiert.  Die Gruppe von Vladimir M. Shabaev an der Staatlichen Universität Sankt Petersburg in Zusammenarbeit mit Theoretikern der Universität Dresden berechnete den g-Faktor für das lithiumähnliche Siliciumion und verbesserte die Genauigkeit auf die 8. Nachkommastelle. Das experimentelle und das theoretische Ergebnis stimmen innerhalb der verbleibenden Unsicherheiten  hervorragend überein und stellen den aktuell genauesten Test von relativistischen Mehrelektronen-Rechnungen dar.

Die neuen Ergebnisse stellen einen wichtigen Fortschritt zum Test der QED dar, denn für einen noch genaueren Test der QED mit schwereren Kernen wird die Messung des g-Faktors von lithium- und wasserstoffähnlichen Ionen des gleichen Elements benötigt. Für andere wasserstoffartige Systeme liegen bereits Berechnungen mit einer 100- bis 1000-fach höheren Genauigkeit vor. Dies ermöglicht dann bei entsprechend hoher experimenteller Präzision, Naturkonstanten wie z. B. die Elektronenmasse mit verbesserter Unsicherheit zu bestimmen.

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Originalveröffentlichung:
g Factor of Lithiumlike Silicon 28Si11+, A. Wagner et al., Phys. Rev. Lett. 110, 033003 (2013) doi: 10.1103/PhysRevLett.110.033003

g-Faktor-Experimente der Abteilung von Klaus Blaum am MPIK

Quantenelektrodynamik auf dem Prüfstand

Helmholtz-Preis für den genauesten Test der Quantenelektrodynamik mit wasserstoffähnlichen Ionen

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Kontakt:

Prof. Dr. Klaus Blaum
Tel: +49 6221 516-850
E-Mail: klaus.blaum (at) mpi-hd.mpg.de

Anke Wagner
MPI für Kernphysik und Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Tel.: +49 6131 3922275
E-Mail:  ankewag (at) uni-mainz.de

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des MPIK

Dreifachfalle.png
Die Apparatur (oben) beinhaltet eine Anordnung aus drei Ionenfallen, in denen das zu untersuchende Ion gespeichert wird. Diese Fallen werden dicht bis an den absoluten Nullpunkt abgekühlt und sind in außerordentlich gutem Vakuum aufgebaut. So können die Forscher mehrere Monate an einem einzelnen Ion experimentieren. Für die Messung wird das Ion vielfach zwischen den Fallen hin- und her transportiert, um den magnetischen Quantenzustand des Elektrons festzustellen und mit Hilfe eines neu entwickelten Verfahrens daraus den gesuchten g-Faktor bestimmen. Unten links: Einzelne Elemente (vergoldete Elektroden und Isolatoren) der Ionenfalle. Unten Rechts: Schematische Darstellung des Si11+-Ions. Grafik/Foto: MPI für Kernphysik.