Intensives Licht verlangsamt hochenergetische Elektronen

Evidenz für Quanteneffekte der Strahlungsrückwirkung

Eine internationale Kollaboration von Physikern aus Deutschland, Großbritannien und den USA hat den ersten direkten experimentellen Beleg dafür geliefert, dass ultra-intensives Licht einen hochenergetischen Elektronenstrahl erheblich verlangsamen kann. Dies erhellt ein fundamentales Problem in der modernen Physik, die sog. Strahlungsrückwirkung: Dabei wirkt die Strahlung, die von einem in einem externen elektromagnetischen Feld beschleunigenden Elektron ausgeht, auf das Elektron selbst zurück. Matteo Tamburini und Antonino Di Piazza aus der Theorieabteilung des Heidelberger Max-Planck-Instituts für Kernphysik konnten unter Berücksichtigung mehrerer theoretischer Modelle zeigen, dass Quanteneffekte einbezogen werden müssen, um die experimentellen Ergebnisse zu reproduzieren. [Phyiscal Review X, Juli 2018]].

Die jüngst am Rutherford Appleton Laboratory unter der Leitung von Dr. Gianluca Sarri und Prof. M. Zepf (Queen's Universität Belfast) durchgeführten Experimente nutzten den Astra-Gemini-Laser der Central Laser Facility. Es wurde ein Energieverlust der Elektronen von bis zu 30% beobachtet, während diese einen kurzzeitigen Laserblitz von nur einer Haaresbreite Ausdehnung durchqueren. Dies zeigt eindrucksvoll, dass bei diesen hohen Laser-Intensitäten eine derart dünne Lichtschicht Teilchen so effektiv abbremsen kann wie ein halber Zentimeter Eisen.

Während dieses Phänomen im klassischen Bereich gut verstanden ist, besteht über das Verhalten bei ultrahohen Intensitäten, wo Quanteneffekte zu berücksichtigen sind, kein Konsens: Vielmehr widerspricht der Weg, den die Elektronen bei ihrer Ausbreitung durch den Laserstrahl nehmen, den Gesetzen der klassischen Mechanik, was fundamental auf die Quantennatur hinweist – hier müssen zwei der faszinierende Gebiete der modernen Physik, die Quantenmechanik und die spezielle Relativitätstheorie, kombiniert werden.

Abb. 1 gibt schematisch den Versuchsaufbau wieder: Der hochintensive Treiberlaser wird auf eine Gaszelle fokussiert, was zu einer Plasmabeschleunigung von Elektronen bis zu einer Energie von 2 GeV führt – dies entspricht einer Beschleunigungsspannung von 2 Milliarden Volt. Die Energie der Elektronen wird mittels eines magnetischen Spektrometers analysiert. Ein zweiter hochintensiver Streulaser wird dann etwa 1 cm stromabwärts hinter der Gaszelle auf den relativistischen Elektronenstrahl fokussiert. Durch Wechselwirkung mit dem Licht des Streulasers wird ein Teil der Elektronenenergie in die Emission hochenergetischer Gammastrahlen umgewandelt. Der Gesamtfluss dieses extrem energiereichen Lichts wird von einem Detektor in Vorwärtsrichtung aufgezeichnet.

Die Wissenschaftler am MPIK verwendeten vier theoretische Modelle mit unterschiedlichen Näherungsgraden. Da nur der Gesamtfluss der Gammastrahlen aufgezeichnet wurde, betrachteten sie die Energiespektren der Elektronen. Fig. 2 zeigt die gemessenen Spektren (für den Streulaser an/aus: der Energieverlust zeigt sich an einer Verschiebung des Spektrums zu niedrigeren Energien) im Vergleich mit den berechneten Spektren. Der einfachste klassische störungstheoretische Ansatz (a) berechnet lediglich die emittierte Gesamtenergie und subtrahiert sie von der Elektronenenergie nachdem sich die Elektronen durch den Laser ausgebreitet haben. Dabei bleibt die Strahlungsrückwirkung effektiv unberücksichtigt und der Energieverlust der Elektronen wird  erheblich überschätzt. Die sogenannte Landau-Lifschitz-Gleichung (b) beinhaltet Strahlungsreaktionseffekte, jedoch nur im klassischen Grenzfall. Es gibt z. B. keine Obergrenze („Cutoff“) für die Emission von hochenergetischen Photonen. In der Quantenphysik jedoch ist die Energie, die ein Elektron in die Emission eines Photons umwandeln kann, durch die kinetische Energie des Elektrons selbst begrenzt. Ein semiklassischer Ansatz, der den „Cutoff“ berücksichtigt, d.h. eben diese Begrenzung der individuellen Energieumwandlung, liefert eine bessere Übereinstimmung (c). Interessanterweise führt die Einbeziehung der vollen Quantennatur der stochastischen Photonenemission (d) zu keiner weiteren Verbesserung. Dies kann dadurch erklärt werden, dass die zeitliche Variation des Laserfeldes im Vergleich zur Zeitskala der Photonenemission nicht langsam erfolgt: diese verbreitete Annahme („constant cross field approximation“) zur Modellierung der Licht-Teilchen-Wechselwirkung, war unter den vorliegenden experimentellen Bedingungen sehr wahrscheinlich nicht gültig.

Eine korrekte Beschreibung der Strahlungsreaktion ist nicht nur für die zugrundeliegende Physik von Interesse, sondern auch für unser Verständnis von massiven und exotischen astrophysikalischen Objekten wie Schwarzen Löchern und Quasaren, wo elektromagnetische Feldern vergleichbarer Stärke auftreten. Darüber hinaus werden diese Ergebnisse für den Bau und Betrieb der nächsten Generation ultraintensiver Großlaser hilfreich sein, mit denen routinemäßig ähnliche starke Felder erzeugt werden, um Spitzentechnologie für Teilchenbeschleunigung, Medizin und industrielle Anwendungen voranzutreiben.

 

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Originalveröffentlichung:
Experimental Signatures of the Quantum Nature of Radiation Reaction in the Field of an Ultraintense Laser
K. Poder, M. Tamburini, G. Sarri, A. Di Piazza, S. Kuschel, C. D. Baird, K. Behm, S. Bohlen, J. M. Cole, D. J. Corvan, M. Duff, E. Gerstmayr, C. H. Keitel, K. Krushelnick, S. P. D. Mangles, P. McKenna, C. D. Murphy, Z. Najmudin, C. P. Ridgers, G. M. Samarin, D. R. Symes, A. G. R. Thomas, J. Warwick, and M. Zepf
Physical Review X 8, 031004 (2018), doi:10.1103/PhysRevX.8.031004

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Kontakt:

Dr. Matteo Tamburini
Abteilung Theoretische Quantendynamik und Quantenelektrodynamik
Max-Planck-Institut für Kernphysik
Tel.: +49 6221 516 163
E-Mail: matteo.tamburini(at)mpi-hd.mpg.de

Dr Gianluca Sarri
School of Mathematics and Physics
Queen’s University Belfast
Tel.: +44 (0)28 9097 3575
E-Mail: g.sarri(at)qub.ac.uk  

Abteilung Theoretische Quantendynamik und Quantenelektrodynamik (MPIK)

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit am MPIK

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Abb. 1: Schematischer Aufbau des Experiments zur Strahlungsrückwirkung.

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Abb. 2. Energiespektren der Elektronen: experimentelle Daten (schwarz = Streulaser aus, rot = Streulaser an) im Vergleich mit theoretischen Modellrechnungen (a-d).