Eigentlich unmögliche Molekülionen

Struktur von negativ geladenen Wasserstoffmolekülen geklärt

Warum negativ geladene Wasserstoffmoleküle (H2-Ionen) für einige Mikrosekunden existieren können, obwohl das auf den ersten Blick ziemlich unmöglich erscheint, haben Experimente am Max-Planck-Institut für Kernphysik gezeigt.Diese Molekülionen rotieren schnell, sind enorm groß und zerfallen schließlich zu neutralen Wasserstoffmolekülen. Die Ergebnisse bestätigen theoretische Vorhersagen. (Physical Review Letters, 03.11. 2011 online)

Über Jahrzehnte war es umstritten, ob negativ geladene Wasserstoffmoleküle, H2, überhaupt existieren, und wenn ja, wie stabil – oder besser instabil – sie sind. Als kurzlebige Übergangszustände von einfachen Reaktionen wie im frühen Universum scheinen sie jedenfalls eine Rolle zu spielen. Vor wenigen Jahren wurden H2-Ionen schließlich eindeutig nachgewiesen; sie existieren aber nur für einige Mikrosekunden, sind also „metastabil“. Theoretiker interpretieren das als einander umkreisende H-Ionen und H-Atome.

Am MPI für Kernphysik haben nun Wissenschaftler die Struktur von H2 untersucht. Dazu verwendeten sie die Methode der „Coulomb-Explosion“ (Abb. 1). Die negativen Ionen werden in einer Ionenquelle erzeugt und mit einem Beschleuniger auf wenige Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. Danach treffen die Ionen auf eine extrem dünne Folie, in welcher sie sofort alle Elektronen verlieren. Die übrig gebliebenen Wasserstoffkerne fliegen durch die Folie hindurch und entfernen sich dabei „explosionsartig“ voneinander, da sie sich aufgrund ihrer positiven Ladung stark abstoßen. Die Protonen werden nach etwa 3 Metern Flugdistanz mit einem abbildenden Detektor aufgefangen. Dieser registriert, wann und wo die beiden Kerne eines explodierten H2-Ions auftreffen. Daraus können die Wissenschaftler die inneren Bewegungen des Molekülions vor der Explosion ableiten.

Der in der Ionenquelle erzeugte Strahl negativer Ionen mit Massenzahl 2 enthält weniger als 0,1% H2-Ionen, die nach der Vorhersage gerade lange genug leben, um die Folie zu erreichen. Die störenden Deuteronen (schwere Wasserstoffkerne) können vor dem Detektor aber aussortiert werden.

Bei ihren Messungen zeigten die Forscher, dass die metastabilen H2-Ionen etwa dreimal so groß sind wie ein neutrales Wasserstoffmolekül und „wie verrückt“ rotieren, sich also in einem hoch angeregten Rotationszustand befinden (Abb. 2). Nur so können sie überhaupt für einige Mikrosekunden existieren, bevor sie ein Elektron verlieren und zu neutralen Wasserstoffmolekülen werden. Die Ergebnisse bestätigen die theoretischen Vorhersagen vollständig, so dass nach Jahrzehnten der Spekulation nun die eigentlich unmöglich erscheinende Metastabilität von H2-Ionen verstanden ist.

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Originalveröffentlichung:

B. Jordon-Thaden, H. Kreckel, R. Golser, D. Schwalm, M.H. Berg, H. Buhr, H.Gnaser, M. Grieser, O. Heber, M. Lange, O. Novotný, S. Novotny, H.B. Pedersen, A. Petrignani, R. Repnow, H. Rubinstein, D. Shafir, A. Wolf, and D. Zajfman:
Structure and stability of the negative hydrogen molecular ion.
Phys. Rev. Lett. 107, 193003 (2011), doi: 10.1103/PhysRevLett.107.193003

Weitere Informationen:

Kurzbeschreibung auf APS Physics (englisch)

Kurzbericht bei Physics Today (englisch)

Gruppe Wolf in der Abteilung „gespeicherte und gekühlte Ionen“ am MPI für Kernphysik:

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Kontakt:

Dr. Holger Kreckel
Tel: +49 6221 516517
E-Mail: holger.kreckel@mpi-hd.mpg.de

Apl. Prof. Andreas Wolf
Tel: +49 6221 516503
E-Mail: andreas.wolf@mpi-hd.mpg.de

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des MPIK

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Abb. 1: Prinzip des Coulomb-Explosions-Experiments.

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Abb. 2: Gemessene kinetische Energie (Geschwindigkeit) der Protonen nach der Coulomb-Explosion von H2-Ionen (schwarz) bzw. ihres Zerfallsprodukts H2 (grün) und Illustration der daraus abgeleiteten Größe des H2-Ions im Vergleich zum neutralen Wasserstoffmolekül, H2. Obwohl die mitbeobachteten Zerfallsprodukte (H2) aufgrund der Drehimpulserhaltung ebenfalls stark rotieren, sind sie doch deutlich kleiner. Wegen der stärkeren Bindung im neutralen H2 hat die Rotation hier einen sehr viel schwächeren Einfluss auf die Bindungslänge als im schwach gebundenen negativen H2-Ion.