Sehr hochenergetisches Nachglühen eines Gammastrahlenausbruchs stellt Emissionsmodelle in Frage

Mitgliedern der H.E.S.S.-Kollaboration ist es gelungen, das intrinsische Spektrum des Nachglühens im sehr hochenergetischen Gammalicht eines relativ nahen Gammastrahlenausbruchs abzuleiten. Überraschenderweise ähnelt es dem viel niedriger-energetischen Röntgenspektrum. Auch das Abklingen über drei Tage verläuft in beiden Spektralbereichen parallel. Diese bemerkenswerten Ergebnisse stellen die gängigen Emissionsmodelle in Frage.

Gammastrahlenausbrüche (GRBs) sind helle, am Himmel beobachtete Röntgen- und Gammastrahlenblitze, emittiert von weit entfernten extragalaktischen Quellen. Sie werden mit dem Entstehen oder Verschmelzen von Neutronensternen oder schwarzen Löchern in Verbindung gebracht. Dabei wird Materie ausgeschleudert mit Geschwindigkeiten, die unglaublich nahe an die Lichtgeschwindigkeit heranreichen. Auf die einige Sekunden dauernden anfänglichen Blitze folgt eine Nachglühphase, die im Röntgenbereich mehrere Tage, im optischen und Radio-Bereich sogar Wochen oder gar Monate nachweisbar sein kann. Es war dieses Nachglühen, das den extragalaktischen Ursprung der GRBs erstmals bestätigt hat. Das Nachglühen im Röntgenlicht wird von beschleunigten Elektronen erzeugt, die mit dem Magnetfeld der Druckwelle wechselwirken und dabei Energie verlieren. Diese Energie wird in Form von Synchrotron-Photonen abgestrahlt.

Das Nachglühen von GRBs gilt aufgrund der Einfachheit der zugrundeliegenden Physik als exzellentes kosmisches Labor zur Untersuchung der Beschleunigung von Teilchen im Kosmos. Im Gegensatz dazu ist die anfängliche Phase des Ausbruchs extrem komplex. Viele Aspekte der Nachglüh-Emission sind im Röntgenbereich gut bekannt, aber die Emission bei sehr hoher Energie (VHE, >100 GeV) – sechs Größenordnungen energiereicher als die Röntgenstrahlung – war bisher ein fehlendes Teil des Multi-Wellenlängen-Puzzles. Im VHE-Bereich sind Beobachtungen besonders schwierig, da das ferne Universum für VHE-Gammastrahlung undurchsichtig wird, weil sie vom das Universum durchdringenden Hintergrundlicht absorbiert wird. In den letzten Jahren gelangen große Schritte hin zum Verständnis von GRBs bei VHEs mit zwei Nachweisen, von denen der erste 10 Stunden nach Beginn des Nachglühens erfolgte und der zweite innerhalb der ersten Stunde. Beide waren nicht länger als zwei Stunden beobachtbar und ereigneten sich in mäßig großer kosmologischer Entfernung, was die beobachtbare Energie nach oben begrenzte. Der für die energiereichste Emission verantwortliche Prozess blieb jedoch unklar.

Nun meldete das internationale Team, welches das H.E.S.S.-Array (High Energy Stereoscopic System) aus atmosphärischen Tscherenkow-Teleskopen betreibt, die Entdeckung eines dritten GRBs – bei einer Rotverschiebung von nur z = 0,0785, also in nur einer Milliarde Lichtjahren Entfernung. „Ein Gammastrahlenausbruch, der sich wie dieser quasi in unserem kosmischen Hinterhof ereignet, ist ein sehr seltenes Ereignis und eine fantastische Gelegenheit zu verstehen, was bei den höchsten Energien vor sich geht“, freut sich Jim Hinton, Direktor am MPIK.

Am 29. August 2019 entdeckten und lokalisierten der Fermi Gamma-Ray Burst Monitor und das Swift Burst Alert Telescope GRB 190829A. Daraufhin wandten sich bodengebundene Observatorien, einschließlich H.E.S.S., schnellstens dieser Position zu, um diesen GRB möglichst lange und über einen sehr großen Wellenlängenbereich zu verfolgen. Die Beobachtungen mit H.E.S.S. begannen vier Stunden nach dem Ausbruch, als die Quelle für die Teleskope sichtbar wurde. Edna Ruiz Velasco, Doktorandin am MPIK und eine der Hauptautorinnen der Studie, stellt fest: „Wir waren in der Lage, den GRB von 4 bis 56 Stunden nach der ersten Explosion zu erfassen und seine Emission sehr genau zu messen.“ Dmitry Khangulyan, ein H.E.S.S.-Mitglied von der Rikkyo Universität in Japan, und MPIK-Alumnus, fügt hinzu: „Dieses neue Ergebnis liefert zwei neue und einzigartige Beobachtungserkenntnisse über das Nachglühen von GRBs.”

Eine Kombination aus der guten Empfindlichkeit des Instruments und der zufälligen Nähe des GRB ermöglichte die genaue Bestimmung des Spektrums über mehr als eine Größenordnung der Energie, von 0,18 bis 3,3 TeV, die einen ausgedehnten zeitlichen Bereich von mehreren Tagen abdeckt. Diese genauen Messungen über einen breiten Energiebereich erlaubten es zum ersten Mal, das intrinsische VHE-Spektrum zuverlässig zu analysieren. „Es zeigten sich verblüffende Ähnlichkeiten zwischen Röntgen- und VHE-Gammastrahlenemission“, so Carlo Romoli, PostDoc am MPIK. Dies passt nicht zur Standard-GRB-Theorie, die einen separaten Ursprung für die VHE-Komponente annimmt. In dieser Theorie ist Synchrotron-Emission bis hin zur VHE-Gammastrahlung nicht möglich, da die Energie der Elektronen auf einen Maximalwert begrenzt ist. Die Beobachtungen von H.E.S.S. lassen sich jedoch erklären, wenn die Elektronen über diese Grenze hinaus beschleunigt werden. „Die weitreichende Bedeutung dieser Möglichkeit unterstreicht die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen des VHE-GRB-Nachglühens“, bemerkt Felix Aharonian, auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des MPIK und am DIAS in Irland.

Wie Andrew Taylor vom Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY-Zeuthen (und ein weiterer MPIK-Alumnus) hervorhebt, „warten wir Astrophysiker gespannt auf die nächste Generation von Observatorien. Nach jahrzehntelanger Suche ist nun ein Verständnis der Prozesse, die dieses extrem energiereiche Phänomen steuern, endlich in Sicht.“ Die Aussichten für die Erforschung von Gammastrahlenausbrüchen durch zukünftige Instrumente sind vielversprechend, denn die GRB-Nachweise im VHE-Bereich in den letzten Jahren lassen regelmäßige Entdeckungen erwarten. Allerdings wurde mit diesem H.E.S.S.-Ergebnis nun die Messlatte hochgelegt, was die wissenschaftliche Bedeutung von Nachweisen lokaler GRBs im VHE-Bereich hervorhebt, insbesondere zu späten Zeiten des Nachglühens.


Originalpublikation:

Revealing X-ray and gamma ray temporal and spectral similarities in the GRB 190829A afterglow, H.E.S.S. Collaboration, Science 372, 1081 (2021), DOI: 10.1126/science.abe8560


Abteilung Hinton am MPIK


Kontakt

Edna L. Ruiz Velasco
Tel.: +49 6221 516-137
E-Mail: Edna.ruiz@mpi-hd.mpg.de

Prof. Dr. Felix Aharonian
Tel.: +49 6221 516-485
E-Mail: Felix.Aharonian@mpi-hd.mpg.de

Prof. Dr. Jim Hinton
Tel.: +49 6221 516-140
E-Mail: jim.hinton@mpi-hd.mpg.de


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Die H.E.S.S. Teleskope beobachten Tscherenkow-Licht, das in der Atmosphäre von Gammastrahlen einer kosmischen Quelle erzeugt wird. (Illustration: DESY Science Communication Lab)

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Künstlerische Darstellung eines Gammastrahlenausbruchs. (Illustration: DESY Science Communication Lab)

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Die H.E.S.S.-Himmelskarten von GRB190829A zeigen das Abklingen des Nachglühens über die drei Beobachtungsnächte (Teilbilder A, B, C). (H.E.S.S. Collaboration)