Geschichte des MPIK

Das Max-Planck-Institut für Kernphysik wurde 1958 unter der Leitung von Wolfgang Gentner gegründet. Es ging aus dem von Walther Bothe von 1934 bis 1957 geleiteten Institut für Physik im Kaiser-Wilhelm/Max-Planck-Institut für medizinische Forschung hervor. Seit 1966 steht das MPIK unter der Leitung eines Direktorenkollegiums. Erste wissenschaftliche Ziele waren die Aufklärung der Struktur der Atomkerne und das Verständnis des Mechanismus von Kernreaktionen sowie die Anwendung atom- und kernphysikalischer Methoden auf Probleme der Kosmochemie. Heute konzentrieren sich die Aktivitäten auf zwei zukunftsträchtige Forschungsgebiete: die Dynamik von Atomen und Molekülen (Quantendynamik) und den Synergiebereich von Teilchenphysik und Astrophysik (Astroteilchenphysik).

Gründungsdirektor Wolfgang Gentner

Direktor am Institut von 1958 bis 1974

 

Studium der Physik in Erlangen und Frankfurt, Promotion Univ. Frankfurt (1930), am Radiuminstitut bei Marie Curie, Paris (1933-1935), bei Walther Bothe am KWImF, Heidelberg (1935-1946), Forschungsaufenthalt in Berkeley (1938), Paris (1940-1942), o. Professor Univ. Freiburg (1946-1957).

Präsident der Heidelberger Akademie der Wissenschaften (1964-1968), Vorsitzender der CPT-Sektion (1967-1969), Vizepräsident der MPG (1972-1978), Officier de la Legion d‘Honneur, Frankreich (1965), Mitglied des Ordens Pour le Merite (1974, ab 1976 Vizekanzler). Wolfgang Gentner war wesentlich an der Gründung des CERN beteiligt; er war zusammen mit W. Heisenberg und A. Hocker Mitglied der deutschen Delegation im ab 1951 tagenden Vorbereitungsausschuss und wirkte nach Gründung des CERN-Rates 1952 an den Planungen für das Synchrozyklotron und das Protonensynchrotron mit. Von 1955 bis 1959 war er Direktor der Abteilung Synchrozyklotron und Direktor der Forschung des CERN und 1972-1974 Präsident des CERN-Rates.

Auch zur Gründung der GSI 1969 trug Wolfgang Gentner entscheidend bei und war erster Vorsitzender des wissenschaftlichen Rates der GSI, zu der das MPIK enge Beziehungen pflegt.

Die Reise im Dezember 1959 von W. Gentner mit seiner Frau, O. Hahn und F. Lynen nach Israel wurde zu einem Meilenstein in der Begründung der deutsch-israelischen Wissenschaftsbeziehungen, deren Etablierung und weitere Entwicklung von ihm vorangetrieben wurde. In Anerkennung dieser Pionierrolle ernannte ihn das Weizmann-Institut 1965 zum Ehrenmitglied und 1975 zum einzigen deutschen Mitglied des Board of Governors. Nach seinem Tod wurde ein Gentner-Lehrstuhl am Weizmann-Institut eingerichtet und die regelmäßigen Minerva-Symposien erhielten den Namen Gentner-Symposien. 1964 wurde der deutsch-israelische Wissenschaftleraustausch durch einen Vertrag zwischen dem Weizmann-Institut und der Minerva GmbH institutionalisiert. Das Büro der daraus hervorgegangenen Minerva-Stiftung war bis Ende 2002 am MPIK angesiedelt. W. Gentner konnte die guten Beziehungen zu französischen Kollegen um F. Joliot, die er bei seinem ersten Aufenthalt am Radiuminstitut aufgebaut hatte, auch während des Krieges aufrechterhalten und die Kollegen unterstützen, als er an das besetzte Institut in Paris abkommandiert worden war.

So ist es auch zu verstehen, dass er nach dem Krieg den Ruf nach Freiburg, also in die damalige französische Besatzungszone, anderen Rufen vorzog, um dort das zerstörte Physikalische Institut wieder aufzubauen. Außerdem waren ihm die nach Hechingen ausgelagerten ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Institute unterstellt. Mit deren kernphysikalischer Abteilung konnte er seine Forschungsmöglichkeiten in den ersten Nachkriegsjahren wesentlich erweitern. 

Wolfgang Gentner reiste mit einer Delegation der Max-Planck-Gesellschaft 1974 nach China, die einen Neubeginn der Beziehungen nach der Kulturrevolution vereinbaren konnte.

Großgeräte

Das Zyklotron des Vorgängerinstituts von 1943 war noch bis 1973 in Betrieb. Der erste Tandem-Beschleuniger mit 6 MV wurde 1961 gebaut und 1967 der 12-MV-Tandem-Beschleuniger, der später durch einen Nachbeschleuniger und einen Hochstrominjektor ergänzt wurde. Dazu kam seit 1982 ein 3-MV-Pelletron-Beschleuniger. Die Beschleuniger wurden Ende 2012 stillgelegt. Bereits 1966 kam der erste Staubbeschleuniger dazu. Der Speicherring TSR war von 1988 bis 2012 in Betrieb. Der ab 2004 geplante ultrakalte Speicherring CSR ging 2015 in Betrieb. Seit 2001 werden in einer Elektronenstrahl-Ionenfalle (EBIT) hochgeladene Schwerionen erzeugt und spektroskopisch untersucht. Zur Kernspektroskopie kam u. a. ein Kristallkugelspektrometer zum Einsatz, und zur Vermessung der Fragmente von Kernreaktionen stand ein Q3D-Magnetspektrograph zur Verfügung. Seit 2001 erfolgt die Untersuchung atomarer und molekularer Reaktionen mit Reaktionsmikroskopen. Im 1968 gebauten unterirdischen Low-Level-Labor werden Detektoren für extrem niedrige Zählraten entwickelt und getestet.

Mit Ausnahme der Tandem-Beschleuniger und des Pelletrons waren und sind alle Forschungseinrichtungen und viele weitere Instrumente, insbesondere die Massenspektrometer, mindestens zum Teil Eigenentwicklungen und wurden in den Werkstätten des Instituts gebaut.

  

Forschungs-Highlights

 

1958  Entdeckung des Mößbauer-Effekts (rückstoßfreie Kern-Spektroskopie mit wesentlich höherer Präzision): Nobelpreis 1961.

1958 – 2000  Untersuchung von Kernreaktionen mit Teilchenbeschleunigern (Zyklotron, Tandems, CERN und DESY): Aufklärung der inneren Schalenstruktur, Mechanismus von Kernreaktionen, Struktur der Nukleonen.

1958 – 1962  Untersuchungen zum Betazerfall von 8Li: Entdeckung der Rechtsschraubigkeit des Antineutrinos.

1958 – 1998  Halbleiterentwicklung durch Ionenimplantation in Festkörper.

1958 – 1980  Radioaktive Altersbestimmungen und mineralogische Untersuchungen an Meteoriten, Tektiten (Einschlagkrater: z. B. Nördlinger Ries), Mondmaterial und irdischem Gestein.

1962 – 1989  Strukturen in Anregungsfunktionen von Kernen: Erikson-Fluktuationen bei der Protonenstreuung.

1964 – 2011  Atmosphärische Umweltforschung mit Massenspektrometern an Bord von Raketen, Ballons und Flugzeugen sowie am Boden: Entdeckung der stratosphärischen Hintergrund-Aerosolschicht, Charakterisierung der Zusammensetzung von polaren Stratosphärenwolken.

1964 – 2011  Untersuchung von kosmischem Staub mit Satelliteninstrumenten (Giotto am Kometen Halley, Galileo, Ulysses, zuletzt Cassini-Mission am Saturn).

1967  Definitiver Nachweis des doppelten Betazerfalls durch Massenspektrometrie, seither Suche nach dem neutrinolosen doppelten Betazerfall (Heidelberg-Moskau-Experiment, GERDA).

1968 – 2001  Theoretische Vielteilchenphysik, stochastische Modelle und Quantenchaos.

1973 – 2006  Archäometrie.

Seit 1975  Theoretische Astrophysik: Entstehung des Sonnensystems, Ausbreitung der kosmischen Strahlung, kompakte Objekte.

1976 – 2010  Spektroskopische Untersuchungen von Staubteilchen und Clustern, die möglicherweise im interstellaren Raum vorkommen; seit 1984 lineare Kohlenstoffmoleküle.

Seit 1976  Neutrinophysik mit den Sonnenneutrinoexperimenten GALLEX/GNO und Borexino, dem Neutrino-Oszillationsexperiment Double Chooz und Hochenergie-Neutrinoastronomie mit IceCube.

1977 – 2002  Bestimmung der Spurenelementkonzentration und –verteilung in Meteoriten, Mondgestein, Mineralien und biologischen Proben mit der Protonenmikrosonde.

Seit 1986 Infrarotastrophysik: Instrumentenbau und Datenauswertung für die Weltraumteleskope ISO und Spitzer.

Seit 1988  Entwicklung und Betrieb von Detektoren für die Experimente HERA-B und LHCb.

1988 - 2012 Atom- und Molekülphysik, Laborastrophysik im TSR.

1990  Erste Herstellung von Fullerenen (C60) in chemisch verwendbaren Mengen, seither Darstellung von Derivaten, Polymeren und Einschlussverbindungen der Fullerene.

Seit 1990  Hochenergie-Gammaastronomie mit theoretischen Arbeiten und der Entwicklung von abbildenden Cherenkov-Teleskopen (1992-1998 HEGRA auf La Palma und seit 2002 H.E.S.S. in Namibia, Entdeckung zahlreicher neuer Gammaquellen).

1994 – 2006  Untersuchung der ungewöhnlichen Ozonisotropie.

Seit 2001  Untersuchung atomarer Reaktionen bei Kollision mit geladenen Teilchen oder intensiven Laserpulsen (Femtosekundenlaser am Institut oder Freie-Elektronen-Laser FLASH in Hamburg).

Seit 2004  Theoretische Quantendynamik in starken Laserfeldern und Quantenelektrodynamik.

2005  Entdeckung, dass Pflanzen unter aeroben Bedingungen Methan emittieren.

Seit 2006  Theoretische Astroteilchenphysik, Neutrinophysik und Kosmologie.

2006 - 2012  Erzeugung und Untersuchung ultrakalter Quantengase.

Seit 2007  Präzisionsmessungen an gespeicherten und gekühlten Ionen, Kernphysik mit atomphysikalischen Methoden.

Seit 2009  Suche nach Teilchen der Dunklen Materie mit flüssigen Edelgasen (Xenon).

Festschrift 50 Jahre MPIK (2008)