Kosmische Beschleuniger – Astronomie bei höchsten Energien

Auf dem Gebiet der Hochenergieastrophysik arbeiten am MPIK experimentell und theoretisch orientierte Astrophysiker eng zusammen. Mit dem High Energy Stereoscopic System H.E.S.S. in Namibia und dem High Altitude Water Cherenkov Detector HAWC in Mexiko beobachten sie sehr hochenergetische (VHE) Gammastrahlen aus dem Kosmos, um damit die extreme Beschleunigung von Teilchen in den kosmischen Quellen und die Rolle dieser Teilchen in astrophysikalischen Systemen zu verstehen.

Im Gegensatz zur elektromagnetischen Strahlung in den meisten anderen Wellenlängenbereichen können Gammastrahlen im VHE-Bereich nicht als thermische Strahlung erzeugt werden; nur im Urknall waren die Temperaturen kurzzeitig hoch genug. VHE-Gammastrahlen entstehen, wenn stark beschleunigte geladene Teilchen mit dem umgebenden Medium reagieren – entweder interstellares Gas oder Strahlungsfelder. Im Gegensatz zu den geladenen Teilchen, auch kosmische Strahlung genannt, breiten sich die Gammastrahlen geradlinig von der Quelle zum Beobachter aus und ermöglichen so, die Quellen abzubilden und die astrophysikalischen Prozesse zu studieren.

Geladene Teilchen gewinnen zunehmend Energie, indem sie immer wieder in die Schockfront gigantischer Schockwellen von Supernovaexplosionen oder in die Plasmajets aus der unmittelbaren Umgebung Schwarzer Löcher in den Zentren von Galaxien zurück diffundieren. Am Institut wird daran gearbeitet, die Vorgänge in den unterschiedlichen Typen von kosmischen Beschleunigern zu modellieren und theoretisch zu beschreiben.

Zu den neuesten Ergebnissen von H.E.S.S. gehören die Beobachtung von Gammastrahlenausbrüchen und – erstmals aufgelöst – die Emission der Jets aktiver Galaxien im hochenergetischen Gammalicht. Die Zeitschrift Astronomy & Astrophysics gab 2018 einen Sonderband über die Messungen in der Milchstraße heraus. Dort hat H.E.S.S. mehr als 80 Quellen entdeckt, die überwiegend auch bei anderen Wellenlängen sichtbar sind. Am häufigsten handelt es sich dabei um Supernova-Überreste oder Pulsarwindnebel. Das Zentrum der Milchstraße ist von besonderem Interesse, und H.E.S.S. hat VHE-Gammastrahlung aus der Nähe des zentralen supermassiven Schwarzen Lochs nachgewiesen, ebenso von Gaswolken in der weiteren Umgebung, die von kosmischer Strahlung mit Energien bis zu Petaelektronvolt (1 PeV = 1015 eV) bombardiert werden.

HAWC mit seinem Weitwinkelblick und seiner Empfindlichkeit für höhere Energien ergänzt die Beobachtungen von H.E.S.S. und hat kürzlich sehr ausgedehnte Halos energiereicher Elektronen um zwei nahe Pulsarwindnebel entdeckt. Auch die Emission von Jets des mysteriösen galaktischen Mikroquasars SS 433 konnte HAWC beobachten.

Tscherenkow-Teleskope und Wasser-Tscherenkow-Detektoren

VHE-Gammastrahlen aus dem Weltraum – eine Billion Mal energiereicher als sichtbares Licht – erreichen die Erdoberfläche nicht. Trotzdem kann man sie am Boden registrieren, mit der Atmosphäre als Detektor. Beim Eintritt in die Atmosphäre stoßen die Gammaquanten mit Atomkernen zusammen, wobei Kaskaden geladener Sekundärteilchen, sogenannte Teilchenschauer entstehen. Diese emittieren extrem kurze und schwache bläuliche Lichtblitze (Tscherenkow-Licht), die – bei Dunkelheit – mit großen Spiegelteleskopen und schnellen Lichtsensoren beobachtbar sind. Stereoskopische Beobachtung mit mehreren Teleskopen ermöglicht es, die genaue Richtung zu ermitteln, aus der die Gammaquanten kommen.

H.E.S.S. besteht aus fünf Teleskopen, von denen vier baugleich sind. Diese haben je 107 m2 Spiegelfläche und bilden die Ecken eines Quadrats mit 120 m Kantenlänge. Die Kamera – eine Matrix aus Lichtsensoren – befindet sich im Fokus des Spiegels. In der Mitte des Quadrats steht ein riesiges Teleskop mit 614 m2 Spiegelfläche und einer Kamera neuester Technologie. Es erhöht die Empfindlichkeit des Systems stark und dehnt den beobachtbaren Energiebereich zu niedrigeren Energien aus. H.E.S.S. konnte als erstes Instrument aufgelöste Bilder astrophysikalischer Gammaquellen aufnehmen.

Als nächstes, wesentlich leistungsstärkeres Observatorium ist CTA, Cherenkov Telescope Array, mit insgesamt rund 100 Teleskopen in drei verschiedenen Größen an zwei Standorten in Chile (Paranal) bzw. auf der Kanareninsel La Palma in Vorbereitung. CTA wird eine bessere Auflösung, höhere Empfindlichkeit, einen größeren Energiebereich und eine mehrere Quadratkilometer große Sammelfläche bei den höchsten Energien haben. Das MPIK entwickelt neuartige Kameras für mittelgroße und kleine Teleskope.

An hochgelegenen Orten lassen sich die Schauerteilchen – rund um die Uhr – direkt nachweisen, und zwar mit wassergefüllten Detektoren, worin sie ebenfalls Tscherenkow-Licht erzeugen. 300 dicht beieinanderstehende Tanks auf 4100 m Höhe bilden das Haupt-Detektorfeld von HAWC. Die Tanks sind mit hochreinem Wasser gefüllt und mit Lichtsensoren bestückt. Um sie herum stehen 350 locker angeordnete kleinere „Outrigger“-Tanks, die wesentlich die Charakterisierung von Teilchenschauern verbessern, die im Randbereich des Hauptfeldes auftreffen. Das MPIK spielt eine zentrale Rolle bei der Planung eines weiterentwickelten Gammastrahlenobservatoriums mit großem Blickfeld auf der Südhalbkugel, das Southern Wide-field Gamma-ray Observatory (SWGO). SWGO basiert auf denselben Nachweisprinzipien wie HAWC, soll aber eine größere Fläche bedecken und einen breiteren Energiebereich erfassen.

Das frühe Universum – Elementarteilchen bei höchsten Energien

In hochenergetischen Kollisionen zwischen Atomkernen entstehen kurzlebige Teilchen, die normalerweise in der Natur nicht vorkommen, aber in dem extrem heißen und dichten Zustand unmittelbar nach dem Urknall existierten. Solche Teilchenkollisionen ermöglichen die Erforschung der fundamentalen Wechselwirkungen zwischen den elementaren Bestandteilen unserer Welt und geben Einblicke in die Physik am Beginn des Universums.

Eine Gruppe am MPIK ist Mitglied der LHCb-Kollaboration, die eines der vier großen Experimente am Large Hadron Collider (LHC) des CERN betreibt. In Proton-Proton-Kollisionen macht LHCb Präzisionsmessungen der starken, der elektromagnetischen und der schwachen Wechselwirkung und erforscht in Proton-Kern-Kollisionen Kerneffekte. Drittens bieten Kern-Kern-Kollisionen Einblicke in kollektive Phänomene in ausgedehnten Systemen aus freien Quarks und Gluonen, dem sogenannten Quark-Gluon-Plasma.

Diese Messungen beleuchten die Eigenschaften des weniger als eine Nanosekunde alten Universums. Gleichzeitig helfen sie zu verstehen, wie hochenergetische kosmische Strahlung mit der Atmosphäre reagiert, was für die Interpretation der Daten von Tscherenkow-Detektoren wichtig ist.