H.E.S.S. schaut erstmals einem Nova-Ausbruch zu

Im vergangenen August gelang es erstmals, einen Nova-Ausbruch im sehr hochenergetischen Gammalicht zu beobachten und sein Aufleuchten und anschließendes Verblassen über einen Monat hinweg, also den Beschleunigungsprozess selbst, zu verfolgen. Über diese herausragende Entdeckung berichten die Mitglieder der H.E.S.S.-Kollaboration jetzt in Science. Zusammen mit den Daten des Fermi-Satelliten liefern diese Beobachtungen aufschlussreiche Einblicke in die der Gammastrahlen-Emission zugrunde liegenden Vorgänge. Erstaunlicherweise scheint die Nova „RS Ophiuchi“ Teilchenbeschleunigung bis zum theoretischen Limit zu bewerkstelligen.

Im Sternbild Ophiuchus (Schlangenträger) befindet sich ein „RS Ophiuchi“ genanntes, etwa 7500 Lichtjahre entferntes Doppelsternsystem aus einem weißen Zwerg und einem roten Riesen. Deren Abstand beträgt nur etwa das Eineinhalbfache der Entfernung zwischen Erde und Sonne. Das ist so nah, dass der weiße Zwerg kontinuierlich Materie aus der Atmosphäre seines Begleiters absaugt. Immer wenn sich genügend Material auf der Oberfläche des weißen Zwergs angesammelt hat, zündet die starke Gravitation eine thermonukleare Explosion. Zwischen 1898 und 2006 haben Astronomen schon acht solcher Nova-Ausbrüche von RS Ophiuchi beobachtet. Am 8. August 2021 ereignete sich ein weiterer Ausbruch, der sogar mit dem bloßen Auge sichtbar war.

Ab der folgenden Nacht nahm H.E.S.S. den Stern ins Visier und konnte ihn tatsächlich identifizieren. „Das ist die allererste Beobachtung einer Nova im sehr hochenergetischen Gammalicht,“ freut sich die Leiterin des H.E.S.S. Nova Programms, Alison Mitchell von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Einen ganzen Monat lang – nur unterbrochen von den Nächten rund um Vollmond – konnte H.E.S.S. die Leuchtstärke-Entwicklung der Nova verfolgen.

Parallele Messungen des Fermi-Satelliten im weniger energiereichen Gammalicht ergänzten die H.E.S.S.-Beobachtungen. Zusammen ergeben die Daten der beiden Instrumente aufschlussreiche Einblicke in die der Gammastrahlen-Emission zugrunde liegenden Vorgänge und ihrer Entwicklung. In ihren Energiebereichen registrierten die beiden Instrumente eine zunächst kontinuierlich zu- und dann mit der gleichen Geschwindigkeit abnehmende Gammastrahlung. Allerdings erreichten die von H.E.S.S. detektierten höheren Energien das Maximum zwei Tage später als die von Fermi beobachteten niedrigeren Energien. Darüber hinaus bilden die mit den beiden Instrumenten gemessenen Energiespektren eine gemeinsame Kurve, die sich von Nacht zu Nacht langsam verändert: sie wird mit der Zeit flacher, aber dafür breiter (siehe Abbildung). Das legt es nahe, dass die von Fermi und H.E.S.S. beobachtete Gammastrahlung einen gemeinsamen Ursprung hat: beschleunigte Teilchen, deren maximale Energie in den ersten Tagen nach der Explosion noch zunimmt.

„Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass Protonen und andere Atomkerne an der sich ausdehnenden Explosions-Schockfront stark beschleunigt werden und mit komprimiertem Material des Sternwinds des roten Riesen kollidieren. Das setzt Gammastrahlung frei“, erläutert Brian Reville vom MPI für Kernphysik, der maßgeblich an den zur Interpretation der Daten erforderlichen Modellrechnungen mitgewirkt hat. Das bedeutet, dass derartige Nova-Ausbrüche effiziente kosmische Beschleuniger sind, die Teilchen bis zu Energien am theoretischen Maximum beschleunigen und ihre Umgebung mit reichlich hochenergetischen Teilchen versorgen – ein erheblicher Beitrag zur kosmischen Strahlung in der Umgebung der Nova. Diese Erkenntnis untermauert die gängige Theorie, dass die sich in dichte Winde massiver Sterne hinein ausdehnenden schnellen Schockwellen junger Supernova-Überreste – extreme Gegenstücke zur Nova RS Ophiuchi – die Produktion der höchstenergetischen galaktischen kosmischen Strahlung antreiben.

Das in Namibia stehende High Energy Stereoscopic System, kurz H.E.S.S., besteht aus fünf Tscherenkow-Teleskopen, mit denen die Mitglieder der H.E.S.S.-Kollaboration sehr hochenergetische kosmische Gammastrahlung untersuchen. Das große Teleskop ist mit einer Kamera neuester Technologie (FlashCam) ausgestattet, die unter Führung des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg entwickelt wurde. „Die neue Kamera ist seit Ende 2019 in Betrieb und hat mit dieser Messung bewiesen, welches Potenzial in dieser Technologie steckt“, so Simon Steinmaßl, Doktorand am MPI für Kernphysik, der an der Analyse der Daten dieser Kamera beteiligt war. Für das Gammastrahlenobservatorium der nächsten Generation, Cherenkov Telescope Array (CTA), wird das FlashCam-Design derzeit optimiert.


Originalpublikation:

Time-resolved hadronic particle acceleration in the recurrent Nova RS Ophiuchi, H.E.S.S. Collaboration, Science 10.03.2022, DOI: 10.1126/science.abn0567


Abteilung Hinton am MPIK
Gruppe Reville am MPIK


Kontakt

Dr. Brian Reville
Tel.: +49 6221 516-589
E-Mail: brian.reville@mpi-hd.mpg.de

Prof. Dr. Jim Hinton
Tel.: +49 6221 516-140
E-Mail: jim.hinton@mpi-hd.mpg.de

Simon Steinmaßl
Tel.: +49 6221 516-144
E-Mail: simon.steinmassl@mpi-hd.mpg.de


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Das große H.E.S.S.-Teleskop. (©MPIK, Christian Föhr)

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Künstlerische Darstellung des Doppelsternsystems aus weißem Zwerg und rotem Riesen nach dem Nova-Ausbruch. Das von der Oberfläche des weißen Zwergs ausgestoßene Material erzeugt Schockwellen, die sich schnell ausdehnen und eine Sanduhrform bilden. An diesen Schockfronten werden Teilchen beschleunigt, die mit dem dichten Wind des roten Riesensterns kollidieren und sehr energiereiche Gammastrahlen erzeugen. (© DESY/H.E.S.S., Science Communication Lab)

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Das Energiespektrum der von Fermi bzw. H.E.S.S. gemessenen Gammastrahlung von RS Ophiuchi am 09.08.21 (grün) und 13.08.21 (orange). (© H.E.S.S. Collaboration)