Weltgrößtes Tscherenkow-Teleskop sieht sein Erstes Licht

H.E.S.S. II geht in Betrieb

Am 26. Juli 2012 ist das H.E.S.S.-II-Teleskop in Namibia in Betrieb gegangen. Mit seinem 28-Meter-Spiegel ist H.E.S.S. II das größte jemals gebaute Tscherenkow-Teleskop. Es wird die energiereichsten und extremsten Phänomene im Universum im sehr hochenergetischen Gammalicht beobachten, zusammen mit den vier kleineren (12 Meter) Teleskopen, die schon seit 2004 in Betrieb sind. Das H.E.S.S.-Observatorium (High Energy Stereoscopic System) bleibt damit das Spitzeninstrument der bodengebundenen Gammastrahlen-Astronomie und wird ein tieferes Verständnis bekannter hochenergetischer kosmischer Strahlungsquellen wie supermassiver Schwarzer Löcher, Pulsare und Supernovae, wie auch die Suche nach neuen Klassen von hochenergetischen kosmischen Quellen ermöglichen.

Mit einem Gewicht von fast 600 Tonnen und seinem 28-Meter-Spiegel – der Fläche von zwei Tennisplätzen – ist das neue Teleskop, genannt H.E.S.S. II, geradezu gigantisch. Es sah am 26. Juli 2012 um 0:43 Uhr sein ‚Erstes Licht‘, hat also seine ersten Bilder von atmosphärischen Teilchenschauern aufgenommen, die von kosmischen Gammastrahlen oder von Kosmischer Strahlung erzeugt werden. Das bedeutet einen weiteren großen Fortschritt für die Erforschung des Südhimmels bei Gammastrahlenenergien. „Das neue Teleskop hat nicht nur die weltweit größte Spiegelfläche derartiger Instrumente, sondern löst auch die Bilder der Teilchenschauer mit beispielloser Detaillierung auf, da es viermal mehr Pixel pro Himmelsfläche hat als die kleineren Teleskope“, betont Pascal Vincent von dem französischen Team, das für die Lichtsensor-Einheit (‚Kamera‘) im Fokus des Spiegels verantwortlich ist.

Astrophysiker gehen davon aus, dass Gammastrahlen von natürlichen kosmischen Teilchenbeschleunigern wie supermassiven Schwarzen Löchern, Doppelsternen, Pulsaren, Galaxienhaufen, Supernovae oder vielleicht auch den Relikt-Teilchen aus dem Urknall erzeugt werden. Im Universum gibt es zahlreiche dieser natürlichen kosmischen Beschleuniger. Sie beschleunigen geladene Teilchen wie Elektronen oder Ionen auf weit höhere Energien als die von Menschen gebauten Teilchenbeschleuniger erreichen. Da hochenergetische Gammastrahlen Sekundärprodukte dieser kosmischen Beschleunigungsprozesse sind, können wir mit Gammastrahlenteleskopen diese hochenergetischen Quellen untersuchen. Heute sind schon über einhundert kosmische Quellen höchstenergetischer Gammastrahlen bekannt. Mit H.E.S.S. II können die Vorgänge in diesen Objekten detaillierter erforscht werden. Man erwartet, viele neue Quellen und auch neue Klassen von Quellen zu entdecken. Insbesondere wird H.E.S.S. II den Gammastrahlenhimmel bei Energien im Bereich von einigen zehn Gigaelektronenvolt erkunden – also im wenig erforschten Übergangsbereich zwischen Weltrauminstrumenten und den derzeitigen Teleskopen am Boden, der ein riesiges Potenzial für Entdeckungen bietet.

Die extremsten Gammastrahler – aktive Galaxienkerne – leuchten in Gammastrahlen mit einem scheinbaren Energieausstoß entsprechend der hundertfachen Leuchtkraft der gesamten Milchstraße, wobei aber die Strahlung aus einem Volumen zu kommen scheint, das viel kleiner ist als unser Sonnensystem. Die Intensität der Strahlung ändert sich dramatisch auf der Zeitskala von Minuten – ein starker Hinweis auf supermassive Schwarze Löcher. Zu einigen von den H.E.S.S.-Teleskopen in den vergangenen Jahren entdeckten Objekten sind keine Entsprechungen bei anderen Wellenlängen bekannt; dabei könnte es sich um einen neuen Typ von Himmelsobjekten handeln, zu deren Entschlüsselung H.E.S.S. II beitragen wird.

Wenn Gammastrahlen hoch in der Atmosphäre auf Luftmoleküle treffen, erzeugen sie eine Kaskade von Sekundärteilchen (Teilchenschauer), die von Teleskopen mit ultraschnellen Kameras am Boden registriert werden können, dank der Emission von Tscherenkow-Strahlung in Form bläulicher Lichtblitze. Die für H.E.S.S. II entwickelte Kamera ist in der Lage, diese sehr schwachen Blitze mit einer ‚Belichtungszeit‘ von einigen Milliardstel Sekunden, also eine Million mal schneller als eine normale Kamera, aufzunehmen. Die H.E.S.S.-II-Kamera hat die Fläche eines Garagentors, wiegt etwa 3 Tonnen und „schwebt“ 36 Meter über dem Spiegel in der Brennebene – bei aufrechter Position auf der Höhe eines 20-stöckigen Gebäudes. Trotz seiner Größe kann das Teleskop doppelt so schnell wie die kleineren Teleskope schwenken, um sofort auf schnelle und kurzzeitige Phänomene wie Gammastrahlenausbrüche irgendwo am Himmel zu reagieren.

Die Teleskopstruktur und das Antriebssystem wurden von Ingenieuren in Deutschland und Südafrika entwickelt und in Namibia und Deutschland gebaut. Die 875 sechseckigen Spiegelfacetten, aus denen der riesige Reflektor besteht, wurden in Armenien hergestellt. Die Kamera mit integrierter Elektronik wurde in Frankreich entwickelt und gebaut. Der Bau des neuen H.E.S.S.-II-Teleskops wurde hauptsächlich von deutschen und französischen Institutionen vorangetrieben und finanziert; wesentliche Beiträge kamen aus Österreich, Polen, Südafrika und Schweden.

Insgesamt spielte das Max-Planck-Institut für Kernphysik beim Bau von H.E.S.S. II eine führende Rolle. Es war an Entwicklung und Design aller Komponenten außer der Kamera und ihrer Elektronik maßgeblich beteiligt und koordinierte die Aufbauarbeiten. Die Max-Planck-Gesellschaft war mit einem Anteil an der Finanzierung von knapp 50% der mit Abstand größte Geldgeber für H.E.S.S. II.

„Die erfolgreiche Inbetriebnahme des neuen H.E.S.S.-II-Teleskops ist ein großer Schritt voran für die Wissenschaftler von H.E.S.S., die astronomische Forschung insgesamt und für das südliche Afrika als erstklassigen Standort für dieses Gebiet der Astronomie“, sagt Werner Hofmann, der Sprecher des Projekts. „H.E.S.S. II bahnt auch den Weg zur Realisierung von CTA (Cerenkov Telescope Array), der nächsten Instrumentengeneration mit höchster Priorität bei Astroteilchenphysikern in Europa.“

 

Das H.E.S.S.-Observatorium wird seit fast einem Jahrzehnt von einer Kollaboration betrieben, der mehr als 170 Wissenschaftler aus 32 wissenschaftlichen Institutionen in 12 verschiedenen Ländern angehören: Namibia und Südafrika, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Österreich, Polen, Tschechien, Schweden, Armenien und Australien. Bisher hat die H.E.S.S.-Kollaboration mehr als 100 Artikel in bedeutenden wissenschaftlichen Zeitschriften, darunter die Top-Journale ‚Nature‘ und ‚Science‘, veröffentlicht.

2006 erhielt H.E.S.S. den Descartes-Preis der Europäischen Kommission – die höchste Auszeichnung für wissenschaftliche Zusammenarbeit – und 2010 den prestigeträchtigen Rossi-Preis der Amerikanischen Astronomischen Gesellschaft. In einer Übersicht über die einflussreichsten Observatorien weltweit kam H.E.S.S. 2006 auf den 10. Platz und damit in die Nähe des Hubble Weltraumteleskops und der Europäischen Südsternwarte ESO in Chile.

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H.E.S.S.-Webseite

Details über die H.E.S.S.-Teleskope

Technische Daten von H.E.S.S. II

Meldung auf Englisch mit weiteren Bildern

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Kontakt:

Prof. Dr. Werner Hofmann (Sprecher der H.E.S.S.-Kollaboration)
Tel.: +49 6221 516 330
E-Mail: werner.hofmann (at) mpi-hd.mpg.de

Dr. Michael Panter
Tel.:+49 6221 516 273
E-Mail: michael.panter (at) mpi-hd.mpg.de

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des MPIK

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Das neue H.E.S.S.-II-Teleskop und eines der vier kleineren Teleskope (Foto: H.E.S.S.-Kollaboration, Stefan Schwarzburg).

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Bild eines Teilchenschauers, simultan beobachtet von H.E.S.S. II (Mitte) und den vier H.E.S.S.-I-Teleskopen (verkleinert abgebildet). Die Farbskala zeigt die Lichtintensität. Die dramatisch verbesserte Empfindlichkeit und Auflösung der H.E.S.S.-II-Kamera ist deutlich zu erkennen. (Grafik: H.E.S.S.-Kollaboration).