Wie schwer ist ein Alphateilchen?

Mittels der Hochpräzisions-Penningfalle für leichte Ionen (LIONTRAP) haben Physiker:innen des Max-Planck-Instituts für Kernphysik, des GSI Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung Darmstadt und der Universität Heidelberg die Masse des He-4-Kerns direkt relativ zum Kohlenstoff-Massenstandard einer Genauigkeit von 12 ppt gemessen. Daraus ergibt sich die atomare Masse von He-4 zu 4,002603254653(48) u – etwas genauer als der aktuelle CODATA18-Literaturwert, aber mit einer Diskrepanz von 6,6 Standardabweichungen.

Seit vielen Jahrzehnten stellen Präzisionsmessungen fundamentaler Systeme eine leistungsfähige Methode dar, um die Gültigkeit des Standardmodells der Physik zu prüfen und seine Grenzen zu erkunden. Ein herausragendes Beispiel war die Entdeckung der Lamb-Verschiebung im Jahr 1947, einer winzigen Energiedifferenz, gemessen im Spektrum von atomarem Wasserstoff im Vergleich zur damals genauesten Theorie, was zur Entwicklung der Quantenfeldtheorie führte. Heute sind die Massen der Elektronen und insbesondere der leichten Atomkerne als grundlegende Eigenschaften von Interesse. Mit Hilfe spezieller Penning-Fallen können die Ionenmassen mit der Genauigkeit von einem Billionstel (ppt) direkt in der atomaren Masseneinheit u gemessen werden, die als 1/12 der Atommasse des Kohlenstoffisotops 12C definiert ist.

In früheren Studien mit der Hochpräzisions-Penning-Falle für leichte Ionen (LIONTRAP) gelang es, die Massen des Protons und des Deuterons mit bisher unerreichter Präzision zu messen. Die Ergebnisse unterscheiden sich jedoch signifikant von denen der University of Washington (UW), die in frühere Literaturwerten eingingen oder als solche dienten, während sie andererseits mit den an der Florida State University (FSU) gemessenen Massenverhältnissen übereinstimmen. Diese Unstimmigkeit, die als „Light Ion Mass Puzzle“ bezeichnet wird, ist in Abb. 1 dargestellt. Zudem stützt sich der derzeit in der Literatur akzeptierte Wert für die Masse des 4He-Kerns (α-Teilchen) seitens des „Committee for Science and Technology“ (CODATA) wie auch der „Atomic Mass Evaluation“ (AME) ausschließlich auf die von der UW-Gruppe berichteten Ergebnisse.

He+ ist das leichteste wasserstoffähnliche Ion, was es für die Grundlagenphysik besonders interessant macht. Das Verhalten seines einzelnen gebundenen Elektrons kann mit außerordentlicher Genauigkeit berechnet werden und ermöglicht beispielsweise, die atomare Masse des Elektrons über eine Präzisionsmessung seiner magnetischen Eigenschaften (g-Faktor) zu ermitteln. Angesichts der Diskrepanzen zwischen den 4He-Massenwerten verschiedener Gruppen war jedoch eine konsistente und präzise Nachmessung dringend erforderlich. Daher haben Physiker:innen des Max-Planck-Instituts für Kernphysik (MPIK) in Heidelberg, des GSI Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung Darmstadt und der Universität Heidelberg die Masse des α-Teilchens direkt relativ zum Kohlenstoff-Massenstandard mit der LIONTRAP-Apparatur bestimmt.

Das LIONTRAP-Massenspektrometer befindet sich an der Universität Mainz und wurde im Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen dem MPIK und der GSI entwickelt. Es besteht aus einer dreifachen Penning-Falle (Abb. 2), die sich in einem supraleitenden Magneten in einem nahezu perfekten Vakuum bei einer Temperatur von etwa 4 Grad über dem absoluten Nullpunkt (-269°C) befindet. Die Falle besteht aus der Präzisionsfalle (PT), angeordnet zwischen zwei Speicherfallen (ST-1 und ST-2). Helium- (4He2+) und Kohlenstoffkerne (12C6+) aus einer Miniatur-Elektronenstrahl-Ionenquelle (mEBIS) werden in der Apparatur präpariert und abwechselnd von einer der Speicherfallen in die Präzisionsfalle transferiert. Die Ionen werden durch das Magnetfeld radial eingeschlossen und führen eine Zyklotronbewegung aus, deren Frequenz von der Masse und dem Ladungszustand des Ions sowie dem Magnetfeld abhängt. Die Messung des Verhältnisses der Frequenzen der beiden Ionen liefert direkt die Masse des Heliumkerns in atomaren Masseneinheiten, wobei das Kohlenstoff-Ion als Massenstandard dient.

Die Physiker:innen haben große Sorgfalt darauf verwendet, viele unvermeidbare systematische Effekte zu berücksichtigen und diese zu minimieren und zu kontrollieren. Unter Einbeziehung der Masse und der Bindungsenergien der beiden Elektronen erhielten sie als Ergebnis die atomare Masse von 4He als 4.002 603 254 653(48) u. Hier gibt die die Zahl in Klammern die gesamte Unsicherheit (Standardabweichung) der letzten beiden Ziffern an, was einer relativen Genauigkeit von 12 ppt entspricht. Dies ist besser als das Ergebnis der UW (16 ppt), weicht jedoch von deren Wert um 522 pu oder 6,6 kombinierte Standardabweichungen ab.

Das nächste Puzzlestück ist die erneute Messung der Masse von 3He mit LIONTRAP, welche derzeit durchgeführt wird.


Originalpublikation:

Penning-Trap Mass Measurement of Helium-4
S. Sasidharan, O. Bezrodnova, S. Rau, W. Quint, S. Sturm and K. Blaum
Physical Review Letters131, 093201 (2023). DOI: 10.1103/PhysRevLett.131.093201


Weblinks:

Abteilung ‘Gespeicherte und gekühlte Ionen’ (Prof. Klaus Blaum) am MPIK

LIONTRAP-Experiment an der Universität Mainz


Kontakt

Sangeetha Sasidharan
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Tel.: +49 6131 39-22891
E-Mail: sangeetha.puthukodath@mpi-hd.mpg.de

Prof. Dr. Wolfgang Quint
GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung GmbH
Tel.: +49 6159 71-2141
E-Mail: w.quint@gsi.dee

PD Dr. Sven Sturm
MPIK
Tel.: +49 6221 516-447
E-Mail: sven.sturm@mpi-hd.mpg.de


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Abbildung 1: Das „Light Ion Mass Puzzle“: Hochpräzise Massenmessungen der University of Wahington (UW), der Florida State Universitiy (FSU) und des MPIK. Die widersprüchlichen Ergebnisse sind durch rote Blitze gekennzeichnet. Grafik: MPIK.

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Abbildung 2: Skizze des Hochpräzisions-Massenspektrometers LIONTRAP. Die hochgeladenen Ionen werden in der Elektronenstrahl-Ionenquelle mEBIS erzeugt. Die Ionenbewegung wird in der Präzisionsfalle (PT) elektronisch erfasst und abwechselnd für das He-Ion und das C-Ion als Massenreferenz gemessen. Grafik: MPIK.