Elektronen sind einige der fundamentalsten Bausteine der bekannten Materie. Sie zeichnen sich durch einige sehr charakteristische Eigenschaften aus, etwa ihre negative Ladung und das Vorhandensein eines ganz spezifischen Eigendrehimpulses, auch Spin genannt. Als geladenes Teilchen mit Spin besitzt jedes Elektron ein magnetisches Moment, das sich in einem Magnetfeld ähnlich einer Kompassnadel ausrichtet. Die Stärke dieses magnetischen Momentes, angegeben durch den sogenannten g-Faktor, kann durch die Quantenelektrodynamik (QED) außerordentlich exakt vorhergesagt werden. Diese Berechnung stimmt mit dem experimentell gemessenen g-Faktor auf 12 Stellen genau überein, eine der bislang genauesten Übereinstimmungen von Theorie und Experiment in der Physik überhaupt. Das magnetische Moment des Elektrons ändert sich aber, sobald es nicht mehr als „freies“, also von anderen Einflüssen unbeeinflusstes Teilchen vorliegt, sondern beispielsweise an einen Atomkern gebunden ist. Die geringfügigen Änderungen des g-Faktors lassen sich mittels der QED berechnen, welche die Wechselwirkung zwischen Elektron und Kern als Austausch von Photonen beschreibt. Hochpräzise Messungen erlauben einen empfindlichen Test dieser Theorie.
„Mit unserer Arbeit ist es uns nun gelungen, diese Vorhersagen der QED mit bisher unerreichter Auflösung und teilweise erstmalig zu untersuchen“, berichtet Gruppenleiter Sven Sturm. „Hierzu haben wir die Differenz des g-Faktors für zwei Isotope von hochgeladenen Neon-Ionen betrachtet, die nur noch ein einzelnes Elektron besitzen.“ Diese ähneln Wasserstoff, aber mit 10-fach höherer Kernladung, was die QED-Effekte verstärkt. Isotope unterscheiden sich bei gleicher Kernladung nur durch die Anzahl der Neutronen im Kern. Untersucht wurden 20Ne9+ und 22Ne9+ mit 10 bzw. 12 Neutronen.
Mit dem ALPHATRAP Experiment steht am Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg eine speziell entwickelte Penningfalle zur Verfügung, um einzelne Ionen in einem starken Magnetfeld von 4 Tesla in nahezu perfektem Vakuum zu speichern. Das Ziel der Messung ist es, die Energie zu bestimmen, die benötigt wird, um die Ausrichtung der „Kompassnadel“ (Spin) im Magnetfeld zu drehen. Dazu wird die exakte Frequenz der dafür nötigen Mikrowellenanregung gesucht. Diese Frequenz hängt aber auch vom genauen Wert des Magnetfeldes ab. Um dieses zu bestimmen, nutzen die Forscherinnen und Forscher die ebenfalls vom Magnetfeld abhängige Bewegung von Ionen in der Penningfalle aus.
Trotz der sehr guten zeitlichen Stabilität des hier verwendeten supraleitenden Magneten, begrenzen unvermeidliche, kleinste Schwankungen des Magnetfeldes bisherige Messungen auf etwa 11 Stellen Genauigkeit.
„Die Idee der neuen Methode besteht nun darin, die beiden zu vergleichenden Ionen 20Ne9+ und 22Ne9+ gleichzeitig im selben Magnetfeld in einer gekoppelten Bewegung zu speichern. Dabei rotieren die beiden Ionen einander stets gegenüber auf einer gemeinsamen Kreisbahn mit lediglich 200 Mikrometern Radius“, erläutert Fabian Heiße, Postdoc am ALPHATRAP Experiment.
Dadurch wirken die Schwankungen des Magnetfeldes praktisch identisch auf beide Isotope, sodass die Differenz der gesuchten Energien hiervon nicht mehr beeinflusst wird. Kombiniert mit dem gemessenen Magnetfeld konnten die Forscher daraus die Differenz der g-Faktoren beider Isotope mit Rekordgenauigkeit bis auf 13 Stellen bestimmen, eine Verbesserung um einen Faktor 100 im Vergleich zu bisherigen Messungen und damit der weltweit genaueste Vergleich zweier g-Faktoren. Die hier erreichte Auflösung lässt sich wie folgt veranschaulichen: Hätten die Forscher statt des g-Faktors den höchsten Berg Deutschlands, die Zugspitze, derart genau vermessen, so könnten sie an der Höhe des Berges einzelne zusätzliche Atome auf dem Gipfel erkennen.
Die theoretischen Berechnungen wurden mit ähnlicher Genauigkeit in der Abteilung von Christoph Keitel am MPIK durchgeführt. „Im Vergleich mit den neuen experimentellen Werten konnten wir bestätigen, dass das Elektron mit dem Atomkern, wie von der QED vorhergesagt, tatsächlich durch den Austausch von Photonen wechselwirkt“, erläutert Gruppenleiter Zoltán Harman. Durch die Differenzmessung an den beiden Neon-Isotopen wurde dies nun erstmals aufgelöst und erfolgreich getestet. Alternativ ermöglicht die Studie, wenn man die QED-Resultate als bekannt voraussetzt, die Kernradien der Isotope um einen Faktor 10 präziser als bisher möglich zu bestimmen.
„Im Umkehrschluss erlaubt die Übereinstimmung der Ergebnisse von Theorie und Experiment, neue Physik jenseits des bekannten Standardmodells einzugrenzen, wie beispielsweise die Stärke der Wechselwirkung des Ions mit dunkler Materie“, so Postdoc Vincent Debierre.
„In Zukunft könnte die hier vorgestellte Methode eine Reihe neuartiger und spannender Experimente ermöglichen, wie beispielsweise den direkten Vergleich von Materie und Antimaterie oder die ultrapräzise Bestimmung fundamentaler Konstanten“, freut sich Erstautor Tim Sailer.
Originalpublikation:
Direct Bound-Electron g factor Difference Measurement with Coupled Ions
Tim Sailer, Vincent Debierre, Zoltán Harman, Fabian Heiße, Charlotte König, Jonathan Morgner, Bingsheng Tu, Andrey V. Volotka, Christoph H. Keitel, Klaus Blaum and Sven Sturm
Nature, 15.06.2022, DOI: 10.1038/s41586-022-04807-w
Weitere Informationen
Ionic Quantum Dynamics and High-Precision Theory (Abteilung Keitel)
Nature News & Views: "Tiny isotopic difference tests standard model of particle physics"