Die Kollaboration machte sich mit einer miniaturisierten Elektronenstrahl-Ionenfalle (electron beam ion trap, EBIT) von MPIK auf den Weg zur BESSY II-Synchrotronquelle nach Berlin, um diese Röntgenabsorption von atomarem Sauerstoff im Labor genau zu messen. Die Apparatur, PolarX-EBIT, kann Ionen in hohen Ladungszuständen, wie beispielsweise, N6+ oder O6+ mit nur einem oder zwei Elektronen, ähnlich wie Wasserstoff oder Helium, herstellen. Hochgeladene Ionen haben Spektrallinien mit Mustern, die denen von Atomen mit der gleichen Anzahl gebundener Elektronen ähnlich sind, die jedoch energetisch in den Röntgenbereich übertragen sind. Es ging darum, die sehr genau theoretisch bekannten Röntgenlinien dieser wasserstoff- und heliumähnlichen Ionen als Standards für die Energiekalibrierung der Synchrotronstrahlung zu verwenden. Diese neue Methode könnte die Genauigkeit aller bisher verwendeten Kalibrierungsmethoden übertreffen.
Eine mit der PolarX-EBIT verbundene Gasabsorptionszelle aus dem NASA-Inventar ermöglichte es dem MPIK-Doktoranden Steffen Kühn und seinen Teamkollegen, die zuvor verwendeten Röntgenabsorptionslinien für Gase, wie molekularen Sauerstoff und Stickstoff, oder atomares Neon gleichzeitig mit den Kalibrierlinien zu messen. Mit dieser Art von Messaufbau und der hohen Genauigkeit der theoretisch berechneten Energien für die in der PolarX-EBIT gespeicherten Ionen konnten viele systematische Unsicherheiten früherer Methoden ausgeschlossen werden.
Die Datenanalyse ergab, dass die Energiewerte der Absorptionslinien von molekularem Sauerstoff, die in der weltweiten Synchrotron-Community sehr häufig zur Kalibrierung verwendet werden, um 0,45 eV bei 540 eV, d. H. um fast ein Promille, falsch lagen. Der neue Wert impliziert eine „Abbremsung“ des atomaren Sauerstoffs im interstellaren Raum unserer Galaxis um 250 km/s, wodurch dieses Element dann in den „zulässigen“ und typischen Bereich von etwa +/− 100 km/s zurückfällt.
Mit der vorgestellten Methode könnten die Unsicherheiten noch weiter reduziert werden. Die neuen „Standards“ sind bereits so präzise, dass andere bisher unbekannte Probleme bei der Kalibrierung von Monochromatoren zutage traten. Es ist auch interessant festzustellen, dass weltraumgestützte Röntgenteleskope bereits solche Linien hochgeladener Ionen aus kosmischen Quellen als Energiereferenzen verwenden. Das vorliegende Experiment hat nun die zuvor gröbste Unstimmigkeit bei interstellarem Sauerstoff beseitigt. In Zukunft wird es dringend benötigte exakte Röntgenenergiereferenzen nicht nur für die Astrophysik, sondern auch für die Forschung an Synchrotrons bieten, um den ständig wachsenden Anforderungen an die Kalibrierung bei vielen Anwendungen gerecht zu werden.
Originalpublikation:
High-Precision Determination of Oxygen Kα Transition Energy Excludes Incongruent Motion of Interstellar Oxygen, M. A. Leutenegger et al., Phys. Rev. Lett. 125, 243001 (2020), DOI: 10.1103/PhysRevLett.125.243001
Gruppe Crespo in der Abteilung Pfeifer