Massereiche Sternhaufen als Quelle für hochenergetische galaktische kosmische Strahlung

Die Gruppe „Theorie astrophysikalischer Plasmen“ am MPIK hat gezeigt, dass Schockwellen von Supernova-Überresten in Wechselwirkung mit kollektiven Winden massereicher Sternhaufen gemessene Spektren kosmischer Strahlung bis zu Hunderten von Peta-Elektronenvolt (PeV) reproduzieren. In einer neuen umfassenden Studie haben sie zwei Klassen massereicher Haufen modelliert: "lockere Haufen" ohne kollektiven Wind, die bis zum "Knie" des Spektrums kosmischer Strahlung um 1 PeV beitragen, und junge kompakte Haufen, die einen kollektiven stark magnetisierten Wind erzeugen. Schockwellen aus Supernova-Überresten, die sich in dieses Medium ausbreiten, können Kerne auf ultrahohe Energien beschleunigen.

Seit ihrer Entdeckung vor mehr als 100 Jahren ist kosmische Strahlung, energiereiche Teilchen aus dem Weltraum, Gegenstand sowohl astronomischer Beobachtungen als auch theoretischer Ansätze zum Verständnis ihres Ursprungs. Sie bombardieren ständig unsere Atmosphäre, und ihr Energiespektrum reicht bis zu den höchsten jemals gemessenen Werten – um viele Größenordnungen höher als sie künstliche Beschleuniger erzeugen. Jahrzehntelang wurde in zahlreichen Experimenten ein umfangreiches Wissen über die kosmische Strahlung gesammelt und dabei entscheidende Details ihres Energiespektrums und ihrer Zusammensetzung aufgedeckt. Aufgrund der Ablenkung durch Magnetfelder breiten sich geladene Teilchen jedoch auf einer zufälligen Bahn in Richtung Erde aus und die Informationen über ihren Ursprung gehen verloren. Die Identifizierung der Quellen kann aber mit Hilfe der Gamma-Astronomie gelingen, da diese üblicherweise auch hochenergetische Photonen aussenden.

Obwohl der Ursprung der kosmischen Strahlung – in unserer Galaxie und darüber hinaus – nach wie vor Gegenstand von Spekulationen ist, besteht die weithin akzeptierte Erklärung darin, dass die kosmische Strahlung in erster Linie durch sich schnell bewegende Schockwellen beschleunigt wird, wie sie in Supernova-Überresten auftreten. In theoretischen Studien wird der zugrunde liegende Beschleunigungsprozess in verschiedenen Szenarien modelliert, einschließlich der Plasmaphysik und der Teilchendynamik in und um ihre Quellen. Das Spektrum der kosmischen Strahlung reicht bis zu 1021 Elektronenvolt (eV). Für die extremsten Energien jenseits von 1018 (Exa-)eV wird ein extragalaktischer Ursprung angenommen, da sie nicht durch Magnetfelder auf der Größenskala der Galaxis gehalten werden. Während der niederenergetischere Teil des Spektrums den Erwartungen entspricht, die auf den Beschleunigungsmechanismen von Supernova-Überresten beruhen, ist der Übergangsbereich um einige 100 Peta-Elektronenvolt (PeV, 1015) noch immer rätselhaft.

Eine mögliche Lösung bietet die Betrachtung kollektiver Effekte in jungen, massereichen Sternhaufen, den Kinderstuben von Sternen, die massiv genug sind, um in einer Supernovaexplosion zu enden. Abb. 1 zeigt Westerlund 1, den massereichsten bekannten jungen Sternhaufen in der Galaxis, beobachtet im sehr energiereichen Gammalicht mit den H.E.S.S.-Teleskopen und im Röntgenlicht mit dem Chandra-Satelliten. Die erheblich ausgedehntere Gammastrahlung und ihre schalenartige Struktur deuten auf einen Zusammenhang mit dem kollektiven Wind des Haufens hin, der eine Art Superblase bildet, wie in der Illustration in Abb. 1 dargestellt: Die Sterne im Kern treiben einen kollektiven Überschallwind an, der in einer Schockwelle endet, wo der Druck des Windes ein Gleichgewicht mit dem eingeschlossenen, turbulenten, schockgeheizten Wind erreicht.

Um diesen Ansatz mit vorhandenen Daten zur kosmischen Strahlung zu vergleichen, modellierten Thibault Vieu und Brian Reville von der Gruppe „Theorie astrophysikalischer Plasmen“ am Heidelberger Max-Planck-Insitut für Kernphysik (MPIK) zwei Klassen von massiven Sternhaufen: "lockere" Haufen, die keine kollektiven Randstoßwellen auslösen, und junge, kompakte Haufen, die stark und kompakt genug sind, um einen kollektiven Wind aufrechtzuerhalten.

„Unser Ziel war es, das Spektrum galaktischer kosmischer Strahlung zu berechnen, einschließlich der Komponente, die auf die Teilchenbeschleunigung um diese spezielle Population von Supernovaüberrest-Schockwellen zurückzuführen ist“, erklärt Postdoc Thibault Vieu. „Zunächst müssen wir die Häufigkeit der Quellen auf der Grundlage der galaktischen Haufenzählung schätzen, die in der jüngsten Analyse des Gaia Data Release 2 vorgestellt wurde. Dann modellieren wir das Spektrum der Teilchen, die von Supernovae in Haufen beschleunigt werden. Schließlich betrachten wir diese Spektren für eine Verteilung von Quellen sowie die Ausbreitung der kosmischen Strahlung innerhalb der Galaxie."

Die Berechnung des gesamten Teilchenspektrums umfasst insgesamt 21 Eingabeparameter. Die meisten von ihnen sind überwiegend aus unabhängigen Quellen und Beobachtungen bekannt, mit Ausnahme von fünf freien Parametern (einschließlich der Gesamtnormierung des Spektrums), die innerhalb vernünftiger Grenzen variieren dürfen. Der Anteil massereicher Sterne in Sternhaufen wird auf 80 % geschätzt, und unter dieser Population ist ein Anteil von etwa 15 % windproduzierender Sternhaufen.

Das Ergebnis ist in Abb. 2 im Vergleich mit einer Zusammenstellung neuerer Daten dargestellt. Das Spektrum der kosmischen Strahlung folgt einem Potenzgesetz ∼Eγ, das in einer doppelt logarithmischen Darstellung linear erscheint. Phänomenologisch gibt es eine Änderung der Steigung (d. h. des Exponenten) um 3 PeV, die als „Knie“ bezeichnet wird, gefolgt von einem „Knöchel“ bei etwa 3 EeV. Beide Merkmale weisen auf unterschiedliche Komponenten des Spektrums hin, wobei letzteres den Übergang zu extragalaktischem Ursprung darstellt. Zur Verdeutlichung ist der spektrale Fluss mit E2,7 skaliert (γ ≈ 2,7 unterhalb des Knies). Die Berechnung gibt das Spektrum der galaktischen kosmischen Strahlung von TeV bis zu Hunderten von PeV gut wieder, von wo ab die extragalaktische Komponente überwiegen dürfte. Das Knie des CR-Spektrums entpuppt sich als Signatur des Übergangs zwischen dem Beitrag von Supernova-Überbleibseln in lockeren massereichen Haufen und dem Beitrag von Schockwellen, die sich in der Nähe von jungen und kompakten windproduzierenden Haufen ausbreiten.

Gruppenleiter Brian Reville resümiert: „Die einzigartigen Bedingungen in der Umgebung massereicher Sternhaufen begünstigen wahrscheinlich die Beschleunigung der kosmischen Strahlung auf die extremsten Werte, die in unserer Galaxie erreicht werden können. Die nächste Generation von Gammastrahlen-Observatorien wie CTA wird viele solcher Systeme in bisher unerreichter Detailliertheit erforschen, was – unterstützt durch theoretische Vorhersagen – endlich eine Antwort auf das mehr als ein Jahrhundert alte Problem des Ursprungs der galaktischen kosmischen Strahlung geben könnte.“


Originalpublikation:

Massive star cluster origin for the galactic cosmic ray population at very-high energies
T. Vieu and B. Reville
Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, 519(1), 136-147 (2023), DOI: 10.1093/mnras/stac3469


Gruppe „Theorie astrophysikalischer Plasmen“ am MPIK


Cherenkov Telescope Array (CTA)


Kontakt

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Tel.: +496221 516-584
E-Mail:
thibault@mpi-hd.mpg.de

Dr. Brian Reville
Tel.: +496221 516-589
E-Mail:
brian.reville@mpi-hd.mpg.de


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Abb. 1. Hintergrund: H.E.S.S.-Gammastrahlungskarte um den massereichen Sternhaufen Westerlund 1. Teilbild unten rechts: Diffuse Röntgenemission im Sternhaufen (Chandra, Bildnachweis: NASA/CXC/UCLA/M.Muno et al). Teilbild oben links: Schematische Zeichnung einer Superblase eines kompakten Sternhaufens (Bildnachweis: Lucia Härer).

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Abb. 2. Gesamtes Teilchenspektrum der kosmischen Strahlung aus der neuen Berechnung im Vergleich zu den jüngsten umfassenden Daten.