Ein zweites Higgs macht leichte Dunkle-Materie-Teilchen möglich

Im Universum muss es viel mehr Materie geben als sichtbar ist. Die Natur dieser Dunklen Materie ist immer noch ein großes Rätsel – trotz zahlreicher Versuche, sie zu finden. Ein neuartiges Modell postuliert nun ein zweites, leichtes Higgs-Teilchen. Dieses könnte ermöglichen, dass aus dem frühen Universum übrig gebliebene Dunkle-Materie-Teilchen leichter sind als oft vermutet. Das Modell trifft vielversprechende Vorhersagen für laufende und zukünftige Experimente.

Die großräumigen Bewegungen aller sichtbaren Objekte im Universum werden von der Gravitationskraft beherrscht. Aus der Bewegung lässt sich die Menge an Masse ableiten, von der die Gravitation ausgeht. Betrachtet man beispielsweise die Rotation der Sterne innerhalb einer Galaxie, so stellt man eine Diskrepanz fest zwischen der Geschwindigkeit der Sterne an den Rändern und der Gravitation, die Sterne und Gas der Galaxie verursachen sollten: Die Sterne am äußersten Rand rotieren so schnell um das Zentrum der Galaxie, dass sie nicht allein durch die Gravitation der sichtbaren Materie zusammen gehalten sein können.

Eine gängige Erklärung für dieses Phänomen ist das Vorhandensein von viel mehr Materie im Universum − und zwar von unsichtbarer Materie, die man mit elektromagnetischen Wellen nicht beobachten kann. Diese Dunkle Materie macht bis zum Fünffachen der Masse der sichtbaren Materie im Universum aus, und wir wissen nicht, woraus sie besteht. Dies ist eine der großen offenen Fragen der modernen Physik.

Die Dunkle Materie könnte aus seltenen Reliktteilchen bestehen, die von einer einst üppigen Population im heißen frühen Universum übrig geblieben sind. Theoretische Physiker arbeiten daran, Wege zu finden, um diese Hypothese zu testen, indem sie teilchenphysikalische Prozesse vorhersagen, die im Labor oder in der Galaxis beobachtbar sind.

Die MPIK-Wissenschaftler Johannes Herms und Sudip Jana stellen nun gemeinsam mit Kollegen ein neuartiges Modell für leichte Dunkle Materie vor, das vielversprechende Ansätze zur Identifizierung dieser bisher unbekannten Komponente des Universums bietet.

Bisher ging man meist davon aus, dass diese so genannten „thermischen Reliktteilchen der Dunklen Materie“ eine Masse haben, die mit der des berühmten Higgs-Bosons vergleichbar ist, also recht schwer sind. Im Gegensatz dazu präsentiert die aktuelle Arbeit ein besonders einfaches Szenario für leichtere Dunkle Materie. Sie basiert auf der Erkenntnis, dass es eine zweite Art von Higgs-Teilchen geben könnte, deren Masse eher mit der von Elektronen oder Protonen vergleichbar ist. Dieses zweite Higgs ist eine neue Möglichkeit, wie leichte Dunkle Materie durch Annihilationsreaktionen im frühen Universum die heute beobachte Dichte erreichen kann. Eine zentrale Vorhersage des thermischen Reliktszenarios ist, dass solche Annihilationen auch heute noch in Galaxien ablaufen. Während in dem neuen Modell die problematische direkte Annihilation aufgrund der Energieerhaltung „verboten“ ist, zeigt sich, dass eine Annihilation auf Quantenebene zu einer prägnanten Signatur im Gammastrahlenspektrum führt.

Wie können wir herausfinden, ob so etwas wie das hier vorgestellte Szenario die Realität beschreibt? Überraschende experimentelle Ergebnisse für das magnetische Moment von Myonen (schwerere Geschwister der Elektronen) und die Masse des W-Teilchens (Vermittler der schwachen Kernkraft) könnten Hinweise auf eine leichtere Form des Higgs sein. Konkretere Beweise könnten bald in Form von neuen schweren geladenen Teilchen am Large Hadron Collider auftauchen. Die „Smoking-Gun“-Signatur dieses einfachsten Modells leichter thermischer Dunkler Materie wäre jedoch, wenn Mittelenergie-Gammateleskope der nächsten Generation eine Annihilationslinie im Gammastrahlenspektrum des Zentrums der Milchstraße sehen würden.


Originalpublikation:

Minimal realization of light thermal Dark Matter, Johannes Herms, Sudip Jana, Vishnu P.K., Shaikh Saad, Phys. Rev. Lett. 129, 091803, DOI: 10.1103/PhysRevLett.129.091803


Kontakt

Dr. Johannes Herms
Tel.: +49 6221 516-814
E-Mail: johannes.herms@mpi-hd.mpg.de

Dr. Sudip Jana
Tel.: +49 6221 516-285
E-Mail: sudip.jana@mpi-hd.mpg.de


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Ein neues, leichtes Higgs-Teilchen könnte zwischen Dunkler Materie und der sichtbaren Welt vermitteln.