Ein neues Szenario für Teilchenbeschleunigung an der Schockfront von Pulsarwinden

Umfangreiche numerische Simulationen

Pulsare, also schnell rotierende Neutronensterne, sind von dünnen, stark magnetisierten, ultrarelativistischen Winden aus Elektron-Positron-Paaren umgeben. Beim Auftreffen dieser Winde auf das umgebende Medium entsteht eine Schockfront, wo der ultrarelativistische Wind gebremst und isotrop wird und einen Pulsarwind-Nebel bildet. Letzterer leuchtet oft hell im nicht-thermischen Röntgen- und Gammalicht. Beispielsweise zeigt die Emission des berühmten Krebsnebels, dass dort Elektronen effizient bis zu extremen Energien im Bereich von PeV (1015 eV) beschleunigt werden. Lange hat man vermutet, dass die Schockfront der Beschleuniger für diese Teilchen sei. Allerdings konnte bisher kein Szenario eine derart extreme Teilchenbeschleunigung erklären.

Kürzlich hat Gwenael Giacinti aus der Gruppe Theorie Astrophysikalischer Plasmen von Brian Reville und der Abteilung Nicht-Thermische Astrophysik von Jim Hinton am MPIK, zusammen mit Benoît Cerutti (IPAG, Grenoble, France) diesen Beschleunigungsmechanismus neu untersucht [1]. Ihre ab-initio ‚Particle-in-cell‘-Simulationen des Plasmas in der Schockregion haben einen neuen Mechanismus aufgedeckt, der Teilchen effizient auf sehr hohe Energien beschleunigen kann. Die Simulationen zeigen, dass die großräumige Struktur des Magnetfelds in der Schockregion eine entscheidende Rolle spielt beim Entstehen großräumiger Turbulenz, die auf kleineren Skalen Teilchen zerstreut und beschleunigt. Eine überraschende Vorhersage des numerischen Modells ist die Bildung eines Hohlraums im Plasma, der sich an der Schockfront am Äquator befindet, und in dem die höchstenergetischen Teilchen konzentriert sind, was an frühere Ergebnisse erinnert [2]. Diese Teilchen könnten hinter dem mysteriösen Flackern der Gammastrahlen stecken, das die Satelliten Fermi und AGILE vom Krebsnebel beobachtet haben. Der neue Beschleunigungsmechanismus könnte auch in anderen extrem relativistischen astrophysikalischen Umgebungen wie den Schockfronten aktiver Galaxienkerne oder in Gammastrahlenausbrüchen am Werk sein.


Originalpublikation:

[1] A global model of particle acceleration at pulsar wind termination shocks, Benoît Cerutti & Gwenael Giacinti, Astronomy & Astrophysics, 642, A123 (2020), DOI: 10.1051/0004-6361/202038883

A&A Highlight

[2] Acceleration of X-ray Emitting Electrons in the Crab Nebula, Gwenael Giacinti & John G. Kirk, Astrophys. J. 863, 18 (2018), DOI: 10.3847/1538-4357/aacffb


 

Kontakt

Dr. Gwenael Giacinti
Tel.: +49 6221 516-584
E-Mail: gwenael.giacinti@mpi-hd.mpg.de


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Oben: Typische Trajektorie eines im Hohlraum an der Schockfront beschleunigten hochenergetischen Teilchens. Der Farbcode zeigt den Lorentz-Faktor entlang der Trajektorie, die über die Plasmadichte-Karte (Graustufen) zum Zeitpunkt des Endes des Teilchenwegs gezeichnet ist. Unten: Zeitliche Entwicklung des Lorentz-Faktors.