Auf dem Weg zur Kernuhr

Physiker konnten erstmals die Energie genau messen, die frei wird, wenn Thorium-229-Atomkerne aus dem niedrigsten angeregten Niveau in den Grundzustand zurückfallen. Damit sind sie bei der Entwicklung einer Kernuhr, die noch weit genauer tickt als heutige Atomuhren, einen wichtigen Schritt weitergekommen.

Uhren gehören zu den genauesten Messinstrumenten überhaupt. Die derzeit besten Atomuhren gehen in 30 Milliarden Jahren nur um eine einzige Sekunde falsch. Eine Kernuhr, die auf einem Übergang im Kern des Isotops Thorium-229 basiert, könnte diese Präzision noch um eine ganze Größenordnung übertreffen. Einem Forscherteam ist es nun erstmals gelungen, die Energie dieses Übergangs genau zu vermessen. Das Team unter der Leitung von Peter Thirolf von der LMU München ist damit in Zusammenarbeit mit Kollegen des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg, der Universität Mainz und GSI Darmstadt, der Universität Bonn und der Technischen Universität Wien einen bedeutenden Schritt auf dem Weg zur Kernuhr vorangekommen, wie die Wissenschaftler in Nature berichten.

Im Unterschied zu gewöhnlichen Atomuhren dienen bei Kernuhren nicht Schwingungen in der Elektronenhülle von Atomen als Taktgeber, sondern Schwingungen im Atomkern selbst. Die Schwingungen sind die Folge von Übergängen zwischen Energieniveaus, die von Lasern bestimmter Wellenlängen angeregt werden. Allerdings liegen die zur Anregung von Atomkernen erforderlichen Energien um mehrere Größenordnungen über den Anregungsenergien für die Elektronen in der Hülle des Atoms. Eine Ausnahme ist das Isotop Thorium-229: Es besitzt das bei weitem niedrigste angeregte Energieniveau aller derzeit bekannten etwa 3800 Atomkerne. Für seine Anregung reicht ultraviolette Strahlung aus, die mit Lasern produziert werden kann. Welche Art von Laser für die Anregung von Thorium-229 benutzt werden muss, war bisher allerdings unklar, da die Eigenschaften des Kerns nicht genau genug bekannt sind. Denn die Energie beziehungsweise Wellenlänge des Laserlichts muss haargenau auf die Energie des Kernübergangs abgestimmt sein.

Trickreiche Messung

Da sich der niedrigste angeregte Zustand aktuell nicht direkt erzeugen lässt, verwendeten die Wissenschaftler angeregte Thorium-229-Kerne aus in Mainz hergestellten Quellen. Daraus gewannen sie mithilfe einer an der LMU entwickelten Apparatur Thorium-229-Kationen. Wenn Thorium-229 als Ion vorliegt, besitzt es einen mit einer Lebensdauer von Stunden vergleichsweise langlebigen angeregten Kernzustand. Dies erschwert aber die Messung, da nur sehr selten ein Kern in den Grundzustand zurückfällt. Gibt man diesem Ion seine Elektronen zurück, geschieht dies dagegen innerhalb weniger Mikrosekunden.

Deshalb nutzten die Wissenschaftler einen Trick: Sie schossen die Ionen durch eine Folie aus Graphen. Dann holt sich das Ion seine fehlenden Elektronen vom Graphen und verlässt die Folie als neutrales Atom. Der angeregte Kernzustand gibt seine Energie an ein Elektron ab, das aus der Atomhülle herausgeschossen wird und wieder ein Thorium-Ion zurücklässt. Die kinetische Energie dieses Elektrons hängt von der Energie des angeregten Kernniveaus ab und ist dann mit einem Elektronen-Spektrometer messbar.

Simulationsrechnungen entschlüsseln das Spektrum

Die Interpretation der gemessenen Spektren ist allerdings sehr anspruchsvoll, da das Elektron nur einen Teil der Kernanregungsenergie trägt und ein anderer Teil beim Thorium-Ion zurückbleibt. Nur mithilfe von aufwendigen Simulationen der elektronischen Energiespektren war es möglich, die Energie des Kernübergangs zu bestimmen. Hier konnten theoretische Physiker des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg geführt von Gruppenleiterin Adriana Pálffy den entscheidenden Beitrag leisten. „Während der Neutralisation wird der Elektronenhülle Energie übertragen. Dadurch sind die meisten Thorium-Atome gar nicht im elektronischen Grundzustand, sondern in angeregten Zuständen. Das macht die Datenanalyse umso komplizierter”, sagt Pavlo Bilous, der involvierte ehemalige Doktorand, der mittlerweile erfolgreich promoviert hat.

Unter Berücksichtigung dieser Prozesse konnten die Wissenschaftler bestimmen, dass zur Anregung von Thorium-229 Laserstrahlen mit einer Wellenlänge von rund 150 Nanometern erforderlich sind. Auf Basis dieser Ergebnisse können nun erstmals solche Laser konstruiert und damit die Entwicklung einer Kernuhr entscheidend vorangetrieben werden. Die Wissenschaftler sind überzeugt, dass die Kernuhr in der Grundlagenforschung zahlreiche Anwendungen finden wird, da sich manche Fragestellungen nur mithilfe extrem präziser Zeitmessungen beantworten lassen.


Originalveröffentlichung:

Energy of the 229Th nuclear clock transition
Benedict Seiferle, Lars von der Wense, Pavlo V. Bilous, Ines Amersdorffer, Christoph Lemell, Florian Libisch, Simon Stellmer, Thorsten Schumm, Christoph E. Düllmann, Adriana Pálffy & Peter G. Thirolf
Nature 573, 243-246 (2019), DOI: 10.1038/s41586-019-1533-4

 

Gruppe Pálffy in der Abteilung Keitel am MPIK


Kontakt

PD Dr. Adriana Pálffy
E-Mail: palffy@mpi-hd.mpg.de
Tel: 06221 516171


Kernuhr.jpg
© Daria Bilous