Alternative Kosmologien auf dem Prüfstand

Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie und das darauf basierende Standardmodell der Kosmologie sind bisher extrem erfolgreich. Dennoch gibt es gute Gründe dafür, dass die Theorie ab einem gewissen Präzisionsniveau nicht mehr alles beschreibt und entsprechend erweitert werden muss. Wissenschaftler vom MPI für Kernphysik haben dazu umfangreiche kosmologische und astronomische Datensätze die auch die neuesten Daten von Quasaren enthalten ausgewertet.

Das Standardmodell der Kosmologie beruht auf Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie. Es beschreibt die Entwicklung des aus normaler Materie und der mysteriösen Dunklen Materie bestehenden Universums. Es enthält auch die berühmte kosmologische Konstante, die für die beschleunigte Ausdehnung des Universums verantwortlich gemacht wird, liefert aber keine Erklärung dafür. Deswegen und auf Grund anderer Argumente gibt es eine Reihe von Vorschlägen sowohl für Erweiterungen des kosmologischen Standardmodells, die weiterhin auf Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie basieren, als auch für kosmologische Modelle, die auf fundamentalen Verallgemeinerungen der Gravitation jenseits von Einstein basieren. Das wirft die Frage auf, wie weit verfügbare Daten alternative Kosmologien testen oder eingrenzen.

Ein Team aus der Abteilung Teilchen- und Astroteilchenphysik am MPI für Kernphysik ist diese Frage mit statistischen Methoden angegangen und hat dazu mehrere verfügbare astrophysikalische Datensätze verwendet. Diese kosmischen „Standardkerzen“ und „Standardmaßstäbe“ umfassen neben Daten zum frühen Universum und den bekannten Supernovae vom Typ I auch neuere Daten von – weiter entfernten – Quasaren. So konnten die Forscher die Vorhersagen der kosmologischen Modelle auf einer Reihe von unterschiedlichen Rotverschiebungs- also Abstandsskalen testen und die kosmologischen Parameter genauer bestimmen. Der Betrag der Rotverschiebung von bestimmten Spektrallinien der Standardkerzen hängt von der Geschwindigkeit ab, mit der sich diese Objekte von uns entfernen. Angesichts der beschleunigten Ausdehnung des Universum kann man daraus wiederum auf die Entfernung zu den Standardkerzen schließen.

„Zunächst haben wir eine kombinierte Analyse sämtlicher Daten anhand des kosmologischen Standardmodells durchgeführt“, erläutert Doktorand Jonas Rezacek die Herangehensweise, „danach sind wir mit zwei verschiedenen Erweiterungen des Standardmodells ebenso verfahren und haben die berechneten Parameter verglichen.“ Es stellte sich heraus, dass beide Erweiterungen keine statistischen Verbesserungen bringen, und die berechneten Parameter sich praktisch nicht von denen des Standardmodells unterscheiden.

Jenseits von Einstein

In einem weiteren Schritt haben die Wissenschaftler exemplarisch zwei alternative Gravitationsmodelle auf den Prüfstand geschickt, die Fachleuten als „bimetrische Gravitation“ und „konforme Gravitation“ bekannt sind. Erstere fügt der Einstein’schen Gravitation eine zweite Komponente hinzu, während letztere eine drastische Veränderung der Gravitationstheorie bedeutet, keine fundamentalen Längenskalen kennt und ohne Dunkle Materie auskommt. Beide Modelle bieten eine Erklärung für die kosmologische Konstante an.

Zwei auf bimetrischer Gravitation beruhende Kosmologien liefern keine statistische Verbesserung, sondern Parameter, die sich praktisch nicht von denen des kosmologischen Standardmodells unterscheiden. Noch schlechter schneidet die konforme Gravitation ab: sie erwies sich als weitgehend untauglich; dazu ergaben sich Widersprüche zu Messungen an Galaxien, die sich nur auflösen, wenn man doch die Existenz von Dunkler Materie annimmt.

„Unsere Ergebnisse zeigen zuerst, wie gut kosmologische Modelle, die auf der Allgemeinen Relativitätstheorie basieren, die aktuellen Daten beschreiben können. Die Beispiele jenseits von Einstein zeigen, dass Erweiterungen der Allgemeinen Relativität zu Kosmologien führen, die bereits mit den existierenden Daten in Konflikt geraten können”, betont Manfred Lindner und gibt sich optimistisch: „Unsere Arbeit hilft mögliche Erweiterungen der Allgemeinen Relativitätstheorie einzugrenzen.“


Originalpublikation:

Probing alternative cosmologies through the inverse distance ladder, M. Lindner, K. Max, M. Platscher, J. Rezacek, Journal of Cosmology and Astroparticle Physics, 15.10.2020 online, DOI: 10.1088/1475-7516/2020/10/040


Kontakt

Prof. Dr. Dr.h.c. Manfred Lindner
Tel.: +49 6221 516-800
E-Mail: manfred.lindner@mpi-hd.mpg.de

Jonas Rezacek
Tel.: +49 6221 516-665
E-Mail: jonas.rezacek@mpi-hd.mpg.de


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Der Quasar Markarian 205 (oben rechts) und die Spiralgalaxie NGC 4319, gesehen vom Hubble Weltraumteleskop. Der Quasar ist etwa 14 Mal weiter weg als die 80 Millionen Lichtjahre entfernte Galaxie. Quasare -ursprünglich als im sichtbaren Licht punktförmige starke Radioquellen beobachtet – sind ferne Galaxien mit extrem hellen Kernen. Die Strahlung stammt von der schnell rotierenden Akkretionsscheibe um ein supermassives schwarzes Loch im Zentrum der Galaxie. (© NASA and The Hubble Heritage Team (STScI/AURA))

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Veranschaulichung der beschleunigten Expansion des Universums, wofür die kosmologische Konstante verantwortlich gemacht wird.