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Präzisionslaserspektroskopie überprüft moderne Kerntheorien in der Nickel-Region
Moderne Kerntheorien jenseits des einfachen Schalenmodells haben zum Ziel, Atomkerne über die komplette Nuklidkarte hinweg einheitlich zu beschreiben. In den letzten Jahren gab es deutliche theoretische Fortschritte im Bereich der Vielteilchen-Methoden und bei der Entwicklung von Ab-initio-Methoden, die auf Wechselwirkungen der chiralen effektiven Feldtheorie (EFT) basieren. Heute können Kernladungsradien mit hoher Präzision gemessen werden und eignen sich daher als robuste Benchmarks für Ab-initio-Rechnungen und gut kalibrierte Energiedichte-Funktionale, wie z. B. das Fayans-Funktional (siehe z. B. unsere Nachrichten vom 08.02.16, 04.09.18 und 16.05.19). Für die Entwicklung eines kohärenten kerntheoretischen Rahmens, müssen Ab-initio-Modelle mit der Dichtefunktionaltheorie (DFT) verknüpft werden.
In einem kürzlich in "Physical Review Letters" veröffentlichten Artikel, berichten S. Malbrunot-Ettenauer et al. über die
bestimmten Kernradungsradien der kurzlebigen Nickel-Isotope 58-68,70Ni (Z=28). Diese Nickel-Isotope stellen in Bezug auf
die Kernladungsradien die letzte unerforschte "magische" Isotopenreihe in diesem Massenbereich dar. Die Präzisionsexperimente
wurden mit dem kollinearen Laserspektroskopie-Setup
COLLAPS
an der radioaktiven Ionenstrahl-Anlage ISOLDE
/CERN
in Genf durchgeführt. Details zum COLLAPS-Setup können in R. Neugart et al. (2017)
nachgelesen werden (siehe unsere Nachricht vom 24.04.17).
Im präsentierten Laserspektroskopie-Experiment sind die Ladungsradien von 59,63,65-67,70Ni bestimmt worden. Der
Ladungsradius von 68Ni wurde bereits im Artikel von
S. Kaufmann et al. (2020)
angegeben, in dem sich auch eine nähere
Beschreibung des Experiments an ISOLDE/CERN findet.
Nach Neutralisierung der Ni-Ionen in einer Ladungsaustauschzelle, wurde an den Ni-Atomen kollineare Laserspektroskopie durchgeführt.
Der 3d9 4s 3D3 -> 3d9 4p 3P2 Übergang
bei 352.45 nm wurde mit einem frequenzverdoppelten Single-Mode Titan:Saphir Dauerstrich-Laser
angeregt. Alle Nickel-Isotope wurden abwechselnd mit dem Referenz-Isotop 60Ni gemessen, um eine mögliche Langzeitdrift in der
Ionengeschwindigkeit oder der Laserfrequenz zu kompensieren. Das Frequenz-Zeit-Spektrum der Ni-Resonanzen wurde mit dem neuen
Datenerfassungssystem "TILDA" aufgenommen.
Die Isotopieverschiebungen δν60,A = νA - ν60 wurden
aus der Resonanzfrequenz νA
eines Ni-Isotops bezogen auf die
Resonanzfrequenz ν60 des Referenzisotops 60Ni berechnet.
Aus den Isotopieverschiebungen wurden die Änderungen in den mittleren quadratischen Kernladungsradien
δ<rc2>60,A der
gemessenen Nickel-Isotope in Bezug auf das Referenz-Isotop 60Ni extrahiert. Die absoluten Ladungsradien Rc wurden aus
δ<rc2>60,A mittels Rc (60Ni) bestimmt.
Die experimentellen Ergebnisse für Rc und δ<rc2> wurden mit zwei
DFT-Ansätzen (dem Skyrme-Funktional SV-min und dem
Fayans-Funktional Fy(Δr, HFB)) und drei unabhängigen Ab-initio-Methoden, die auf chiralen EFT-Wechselwirkungen basieren,
verglichen.
Ladungsradien Rc ermöglichen den Vergleich von Theorie und Experiment auf der absoluten Skala.
Da sich verschiedene theoretische Unsicherheiten in den differentiellen Ladungsradien δ<rc2>
aufheben, lassen sich mit δ<rc2> lokale Variationen in der Kernladungsverteilung genauer untersuchen.
Bei Verwendung des selben chiralen EFT-basierten Kernpotentials NNLOsat in allen Ab-initio-Rechnungen, waren deren Ergebnisse für Rc und δ<rc2> sehr konsistent und sie stimmten gut mit dem Experiment überein. Ab-initio-Rechnungen, die andere Kernwechselwirkungen einsetzten, wichen deutlich von den experimentellen absoluten Ladungsradien Rc ab und konnten lediglich gute Ergebnisse für δ<rc2> liefern.
Ungewöhnlich deutliche Größenzunahmen bzw. -abnahmen von Rc beim Wechsel zwischen ungeraden und geraden Neutronenzahlen (sog. Odd-Even-Staggering) oder Knicke im Rc-Trend bei Schalenabschlüssen, konnten durch Fayans-basierende Funktionale erfolgreich beschrieben werden (siehe z. B. unsere Nachrichten vom 08.02.16, 04.09.18 und 16.05.19). Fehlen allerdings wie bei der untersuchten "magischen" Nickel-Isotopenreihe solche Eigenschaften, so liefert die Skyrme-basierte DFT interessanterweise Resultate, die den experimentellen Ergebnissen näher kommen als das Fayans-Funktional.
Die präsentierte vergleichende Arbeit, die Experiment, Dichtefunktionaltheorie und Ab-initio-Rechnungen kombiniert, konnte eine theoretische Genauigkeit von etwa 1% für die Beschreibung von Kernladungsradien im Bereich von Nickel erreichen.
Weitere Informationen finden Sie im Artikel ... >
BASE verbessert die experimentellen Schranken auf die Verletzung der CPT-Invarianz und des schwachen Äquivalenzprinzips
Das Standardmodell (SM) ist die erfolgreichste Theorie der Teilchenphysik. Es beschreibt drei der vier bekannten Grundkräfte
(die elektromagnetische, die schwache und die starke Wechselwirkung) und klassifiziert alle bekannten Elementarteilchen. Ein großer
Erfolg des SM war z. B. die Vorhersage des Higgs-Bosons im Jahr 1964, das schließlich im Jahr 2012 am CERN in Genf
entdeckt wurde.
Allerdings weisen wichtige Beobachtungen auch deutlich darauf hin, dass das Standardmodell der Teilchenphysik nicht vollständig ist.
Als eine lokale, unitäre und Lorentz-invariante Quantenfeldtheorie, ist das SM CPT-invariant (C: Ladung, P: Parität, T: Zeit).
Deshalb stimmen gemäß dem SM die fundamentalen Eigenschaften (z. B. Masse, magnetisches Moment, Lebensdauer) eines Teilchens und
seines Antiteilchens exakt überein. Daher hätten im frühen Universum gleich viele Teilchen und Antiteilchen gebildet werden müssen.
Das bedeutet, dass das SM die erstaunliche Materie-Antimaterie-Asymmetrie im beobachtbaren Universum nicht erklären kann. Diesem
Problem wird mit Tests der CPT-Symmetrie durch den hochpräzisen Vergleich fundamentaler Eigenschaften von Materie-/Antimaterie-Konjugaten
nachgegangen. Neue theoretische Modelle, die eine CPT-Verletzung herbeiführen und eine weiter erhöhte Messpräzision könnten zu einer
Physik jenseits des Standardmodells führen.
Eine andere sehr aktuelle Fragestellung in der Physik ist, ob das schwache Äquivalenzprinzip (WEP: Weak Equivalence Principle), das ein Grundpfeiler der Allgemeinen Relativitätstheorie und anderer Gravitationstheorien ist, auch für Antimaterie gilt. Das WEP besagt, dass schwere und träge Masse äquivalent sind. Es ist für Materie mit hoher Genauigkeit durch viele Experimente getestet worden. Ein experimenteller Test des WEP mit Antimaterie stand bisher nicht zur Verfügung. Untersuchungen von Materie-/Antimaterie-Konjugaten mittels "Zyklotron-Uhren" ermöglichen insbesondere den Test des "Cyclotron Clock Weak Equivalence Principle" (WEPcc).
In einem kürzlich in "Nature" veröffentlichten Artikel befasst sich die
BASE-Kollaboration
mit den beiden genannten fundamentalen Fragen. Die Forschenden führten hochpräzise Tests der CPT-Symmetrie und des WEPcc durch.
Hierzu kam das kryogene Multi-Penningfallen-System von BASE, das aus einer Messfalle und einer Reservoirfalle besteht, am
Antiproton Decelerator
(AD) am CERN in Genf zum Einsatz.
Für den Test der CPT-Invarianz mit Baryonen verglich das BASE-Team die Proton/Antiproton Ladungs-Masse-Verhältnisse durch Messung der
freien Zyklotronfrequenzen νc=(q·B)/(2π·m) eines einzelnen gespeicherten Antiprotons und eines negativ geladenen
Wasserstoff-Ions H- in einem fortgeschrittenen Penningfallen-System. H- eignet sich hervorragend als negativ geladener Stellvertreter
des Protons, da bei einem Vergleich von Teilchen mit gleichem Ladungsvorzeichen die Umkehrung der Fallenspannung vermieden werden kann,
wodurch systematische Verschiebungen des Frequenzverhältnisses erheblich reduziert werden können.
Das Brown-Gabrielse Invarianztheorem νc2=ν+2+νz2+ν-2
verknüpft νc mit der modifizierten Zyklotronfrequenz ν+, der Axialfrequenz νz und der
Magnetronfrequenz ν-. Der Vergleich von νc von Antiprotonen und H---Ionen im selben
Magnetfeld B0 erlaubt die Bestimmung des Verhältnisses ihrer Ladungs-Masse-Verhältnisse.
Um die Genauigkeit des bisher besten Vergleichs des Proton/Antiproton Ladungs-Masse-Verhältnisses durch BASE zu verbessern (siehe unsere
Nachricht vom 12.08.15,
[Nature 524, 196-199 (2015) ]),
sind zahlreiche experimentelle Upgrades implementiert worden: ein gründliches Re-Design des kryogenen Experimentaufbaus
(CERN Document 2702758
),
die Entwicklung eines fortgeschrittenen mehrschichtigen magnetischen Abschirmsystems
(Phys. Rev. Applied 12, 044012 (2019)
)
und eines Spiegelstrom-Detektors mit einstellbarer Frequenz
(siehe unsere Nachricht vom 18.07.17,
[Phys. Rev. Lett. 119, 033001 (2017)
]).
Die Axialfrequenz νz wurde durch Auswertung eines Dip-Spektrums bestimmt. Die modifizierte Zyklotronfrequenz
ν+ (und auf gleiche Weise die Magnetronfrequenz ν-) wurde mit der sehr gut etablierten
Seitenband-Methode durch Auswertung eines "Double-Dip"-Spektrums gemessen. Zusätzlich kam eine noch genauere "Peak-Methode" zum Einsatz.
Der neue Wert 1.000000000003(16) des Verhältnisses der Proton/Antiproton Ladungs-Masse-Verhältnisse mit einer relativen Genauigkeit
von 16 parts-per-trillion (ppt, 10-12) steht im Einklang mit der CPT-Invarianz. Das Endergebnis beruht auf der Kombination
von vier unabhängigen Langzeitstudien, die in einem Zeitraum von insgesamt 1.5 Jahren (Dezember 2017 - Mai 2019) durchgeführt wurden.
Es verbessert die Präzision der bislang genauesten Messung der BASE-Kollaboration um einen Faktor 4.3 (siehe unsere
Nachricht vom 12.08.15)
und schränkt die CPT-verletzenden Effekte auf eine Energieskala von etwa 2·10−27 GeV ein.
WEPcc-verletzende Gravitationsanomalien für Antimaterie würden bewirken, dass sich die Frequenzen einer "Proton-Zyklotron-Uhr" bei νc,p und ihrer CPT-konjugierten " Antiproton-Zyklotron-Uhr" bei νc,anti-p unterscheiden. Die vier Messkampagnen zwischen Dezember 2017 und Mai 2019 ermöglichten die Untersuchung der Zyklotronfrequenzen νc des Protons und des Antiprotons bei unterschiedlichen Gravitationspotentialen im BASE-Labor aufgrund der elliptischen Bahn der Erde um die Sonne. Dadurch konnte erstmals ein differentieller Test des WEPcc mit Antiprotonen durchgeführt werden. Hiermit ließ sich das Problem einer möglichen Modifizierung des absoluten Werts des Gravitationspotentials durch eine WEP-verletzende Kraft umgehen. Die Forschenden erhielten eine differentielle Einschränkung |αg,D−1|<0.030 der WEPcc-Verletzung.
Die BASE-Kollaboration strebt für künftige Experimente eine noch höhere Sensitivität an. Hierzu sollen eine Verbesserung der
Magnetfeldstabilität und -homogenität und die Entwicklung von transportablen Antiproton-Fallen, genannt
BASE-STEP
(STEP: Symmetry Tests in Experiments with Portable Antiprotons), beitragen. Solche transportablen Antiproton-Fallen ermöglichen künftig
Experimente unter stabilen Bedingungen in Präzisionslaboren, entfernt von den Störeinflüssen in einer Beschleunigerhalle.
Weitere Informationen finden Sie im "Nature" Artikel ... >
Bitte lesen Sie auch die Pressemeldungen des MPIK
(idw
),
der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB)
,
der Leibniz Universität Hannover
,
der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (STEP)
und des CERN
.
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