Forschung: CONUS

Nachweis kohärenter Neutrino-Kern-Streuung
Die kohärente Streuung von Neutrinos an Atomkernen ist eine Wechselwirkung, die von der Theorie vorhergesagt wird und für die Grundlagenforschung von großer Bedeutung ist. Das CONUS-Experiment hat zum Ziel, diesen Wechselwirkungskanal in Kernkraftwerken nachzuweisen und zu charakterisieren. Neutrinos, die in großen Mengen durch Kernspaltungsprodukte erzeugt werden und nicht für die Stromerzeugung nutzbar sind, werden in diesem Experiment auf neuartige Weise untersucht. CONUS war von 2018-2022 im Kraftwerk Brokdorf der PreussenElektra GmbH in Betrieb. Es zog 2023 nach gewissen Verbesserungen in das Kraftwerk Leibstadt (CH) der Leibstadt AG um, wo es nun als CONUS+ betrieben wird.
Neutrinos - Wechelwirkung mit Materie
Abbildung 1: Schematische Darstellung der kohärenten Neutrino-Kern-Streuung
Da Neutrinos nur schwach mit Materie wechselwirken, sind die Geräte für den Neutrinonachweis in der Regel sehr groß, bis hin zu Massen von Hunderten von Tonnen oder sogar Kilo-Tonnen von Material. Grundsätzlich können Neutrinos auf zwei Arten mit Materie wechselwirken: entweder mit Elektronen in der Atomhülle oder mit Protonen/Neutronen im Atomkern. Im letzteren Fall besteht die Möglichkeit, dass das Neutrino „kohärent“ am Kern als Ganzes streut, was die Wahrscheinlichkeit für den Streuprozess erheblich erhöht. Andererseits erfordert Kohärenz eine Wellenlänge die groß genug ist, was zu kleinen Neutrinoenergien impliziert. Als Konsequenz ist der Energietransfer auf den Kern bei kohärenter Streuung winzig, vergleichbar mit der Situation eines Tischtennisballs, der einen Basketball trifft. Es ist recht einfach, zu treffen, aber schwer, das Ziel zu bewegen. Daher werden für diesen Nachweis spezielle Detektoren mit sehr niedrigen Energie-Schwellenwerten benötigt, aber nur ein paar Kilogramm Material könnten ausreichen, um das Ziel zu erreichen! Die Herausforderungen eines solchen Experiments machten die experimentelle Bestätigung der theoretischen Vorhersagen in den 1970er Jahren für mehr als 40 Jahre unmöglich. Im Jahr 2017 wurde die kohärente Streuung von Neutrinos an Kernen erstmals durch das COHERENT-Experiment nachgewiesen. Die höherenergetischen Neutrinos in diesem Experiment wurden mit Hilfe eines Neutronenstrahls an einem Atomkern erzeugt. Im Jahr 2024 beobachtete die XENON-Kollaboration einen ersten Hinweis auf die kohärente Streuung von Neutrinos aus dem Zerfall von 8B-Isotopen in der Sonne.
Das CONUS-Experiment
Abbildung 2: Innenansicht des Sicherheitsbehälters des Kernkraftwerks in Brokdorf. Der Platz des CONUS Experiments ist mit einem roten Stern gekennzeichnet.
Der Nachweis und die Charakterisierung der kohärenten Neutrino-Kern-Streuung erfordern einen experimentellen Aufbau in unmittelbarer Nähe zu einer starken und gut kontrollierten Neutrinoquelle. In Konkurrenz mit anderen internationalen Bemühungen wird diese Idee im CONUS+ (COherent Neutrino nUcleus Scattering) Experiment realisiert, das in Zusammenarbeit mit der Leibstadt AG in Leibstadt betrieben wird. Die Messung der Reaktorneutrinos hat keinen Einfluss auf den Reaktor und stellt keine Anforderungen an den Betrieb des Kraftwerks. Der Abstand des Versuchsaufbaus zum Reaktorkern beträgt nur 21 Meter. Damit steht aus einem der weltweit stärksten Reaktoren ein extrem hoher Fluss von 14 Billionen Neutrinos pro Sekunde und Quadratzentimeter für Messungen zur Verfügung. Die Kombination mit der speziell angefertigten Abschirmung und den fortschrittlichen Detektoren macht das Experiment zu einem Spitzenprojekt.
Abbildung 3: Das Kernkraftwerk Leibstadt (CH) an dem CONUS+ seit 2023 Daten nimmt.
Das CONUS-Experiment verwendet hochreine Germanium-Halbleiterdetektoren, die auf ionisierende Strahlung reagieren. Mehrere Schichten aus hochreinem Blei und bor-dotiertem Polyethylen mit einer Gesamtmasse von 9 Tonnen schützen die Detektoren vor externer Radioaktivität. Der verbleibende Teil dieser Hintergrundstrahlung wird durch einen zusätzlichen Detektor für kosmische Strahlung abgefangen. Das Design der Abschirmung basiert auf dem weltweit führenden Know-how, das am MPIK über viele Jahrzehnte hinweg aufgebaut wurde. Darüber hinaus bietet das Reaktorgebäude eine zusätzliche Abschirmung, welche die kosmische Myonenstrahlung reduziert.
Status des Experiments
Im November 2023 begann die Datenerfassung mit dem CONUS+-Detektor und im Januar 2025 wurden
Ergebnisse des ersten CONUS+-Durchlaufs veröffentlicht. Der Reaktor ist für Wartungsarbeiten etwa einen Monat pro Jahr abgeschaltet. Ein Vergleich der Daten und Hintergründe bei eingeschaltetem und ausgeschaltetem Reaktor ergab bereits nach 9 Monaten Datenerfassung einen Überschuss von 3,7σ für den seltenen Neutrino-Wechselwirkungsprozess. Parallel dazu wurden im November 2024 drei neue Detektoren mit 2,4-mal mehr Masse und verbesserten Energieschwellen installiert. Mit der zusätzlichen Statistik von mehr Daten und verfeinerten Analysemethoden wird die CONUS-Kollaboration in den kommenden Jahren die kohärente Neutrino-Kern-Streuung mit Reaktorneutrinos noch besser untersuchen können.
Anwendungen
Der Nachweis und die präzise Messung der kohärenten Neutrino-Kernstreuung sind von grundlegender Bedeutung für die Grundlagenforschung, da sie Einblicke in verschiedene mikroskopische Prozesse geben. Darüber hinaus spielen Neutrinos eine entscheidende Rolle bei mehreren herausragenden astrophysikalischen und kosmologischen Ereignissen im Universum. Dazu gehören Sternzusammenbrüche (Supernovae), bei denen unvorstellbare Mengen von Neutrinos emittiert werden, die während ihrer Ausbreitung durch die implodierenden Sternschichten kohärente Streuprozesse mit Kernen erfahren. Mit dem Experiment CONUS+ im Kernkraftwerk Leibstadt wurde erstmals kohärente Neutrino-Kern-Streuung im Energiebereich von Reaktorneutrinos mit modernster Germanium-Detektortechnologie gemessen. Eine präzise Messung des Neutrinoflusses an Kernreaktoren könnte prinzipiell im Rahmen der Reaktorüberwachung, für Sicherheitsanwendungen oder zur Bestimmung der thermischen Leistung eingesetzt werden.
Kontakt
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Prof. Dr. Dr. h.c. Manfred Lindner:
Tel: +49 6221 516800
E-Mail: manfred.lindner [at] mpi-hd.mpg.de
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Dr. Werner Maneschg:
Tel: +49 6221 516287
E-Mail: werner.maneschg [at] mpi-hd.mpg.de
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Dr. Christian Buck:
Tel: +49 6221 516829
E-Mail: christian.buck [at] mpi-hd.mpg.de