Forschung: Low-Level Physik
Extrem niedrige Aktivitäten natürlicher und künstlicher Radioisotope
Low-Level-Techniken sind experimentelle Techniken, welche Untersuchungen sehr
geringer Aktivitäten von natürlichen sowie künstlich erzeugten Radioisotopen erlauben:
- Materialuntersuchungen (Germaniumspektroskopie, ICP-MS, NA)
- Oberflächenuntersuchungen (Alpha, Beta, Gammaspektroskopie)
- Untersuchungen von (radioaktiver) Edelgasen (Diffusion, Emanation)
- Reinigungstechniken (Flüssigkeiten, Gase)
- Unterdrückung von Untergrundereignissen (Alpha/Beta/Gamma/Neutron-Unterdrückung, PSA)
- Untergrundsimulationen von Experimenten (MC-Simulationen)
Low-Level-Techniken werden in Experimenten benötigt, die speziell sehr seltene Ereignisse untersuchen wollen ( Neutrinoereignisse, Suche nach Dunkler Materie,
Suche nach dem neutrinolosen Doppelbetazerfall, Suche nach dem Protonenzerfall,...) wobei die Erkennung von Untergrundsignalen und deren Unterdrückung
eine entscheidende Rolle spielen. Am MPIK existiert eine weit in die Vergangenheit reichende Tradition und damit verbundenes Wissen auf diesem speziellen
Gebiet. Einige äußerst empfindliche Messmethoden sind für Experimente wie GALLEX/GNO, BOREXINO,
Heidelberg-Moscow, LENS und
GERDA entwickelt worden.
Low-Level-Untergrundlabor
Das Low-Level-Untergrundlabor am MPIK besitzt ideale Bedingungen für die Entwicklung von Detektoren sowie für Experimente, die
einen niedrigen Untergrund benötigen. Die Kombination der Reduzierung von radioaktiven Verunreinigungen, einer passiven Abschirmung und einem aktiven Vetosystem
für kosmogene Teilchen ermöglicht es, den Untergrund der Germaniumspektrometer stark zu reduzieren. In diesem Labor sind die ersten Versuche zu
verschiedenen Experimenten (wie GALLEX/GNO, BOREXINO, Heidelberg-Moscow, LENS and GERDA ) durchgeführt worden.
Das Untergrund-Labor wurde 1967 fertig gestellt und in 2007 komplett renoviert. Es bietet eine Fläche von ca. 220 m2 und ist durch einen 20 m
langen Tunnel mit dem Hauptgebäude verbunden. Im Labor befinden sich Lagermöglichkeiten für hochreines Material, um Aktivierung des Materials
durch Myonen zu reduzieren, sowie ein Kran, Gasversorgungssysteme, eine separate Stromversorgung zum Betrieb der Germaniumdetektoren und eine Klimatisierung. Mit einer Tiefe von 7 m einschließlich einer 90 cm dicken Betonschicht wird eine Abschirmung erreicht die äquivalent zu einer Wasserschicht von 15 m ist. Die 222Rn-Konzentration schwankt zwischen 30 und 70 Bq/m3.
Abbildung 1: Schnitt durch das Low-Level-Labor am MPIK in Heidelberg
Abbildung 2: Die erwartete Verringerung von kosmogenen Teilchen bzw. der von diesen verursachte Untergrund in unterschiedlichen Tiefen. Markiert ist die 15 m Wasseräquivalentstiefe.
Germaniumspektroskopie
Die Germaniumspektroskopie ist eine der besten Techniken zur Identifizierung von Gammastrahlern (U und Th Kette,
60Co. 40K,...) und damit eine perfektes Instrument zur Materialauswahl. Grund dafür ist eine sehr hohe Energieauflösung (ca. 2 keV)
und ein geringer Untergrund vom Germaniumkristall selbst. Dennoch ist es notwendig, um hohe Nachweisempfindlichkeiten zu gewährleisten, den externen
Untergrund zu reduzieren (aktive/passive Abschirmung, Untergrundstandort des Detektors) sowie ein möglichst großes Probenvolumen und eine präzise
Bestimmung der Detektoreffizienz (Kalibration/Simulation) durchzufühern.
Das Max-Planck-Institut betreibt einige Detektoren an unterschiedlichen Standorten. Die empfindlichsten weltweit sind die GeMPI-Spektrometer [1] am
Gran-Sasso-Labor in Italien. Bedingt durch den extrem niedrigen Untergrund und das große Probenvolumen für Materialien mit hoher Dichte ist es möglich,
Detektionslimits im Bereich von 10 μBq/kg (U und Th) zu erreichen. Einige Detektoren (mit den Namen Dario, Bruno, Corrado) werden auch im
Untergrundlabor des MPIK [2] betrieben, allerdings bedingt durch geringe Tiefe im Untergrund liegen die noch messbaren Konzentrationen im Bereich
von 1 mBq/kg.
Abbildung 3: Schnitt des GeMPI-1-Detektors am Gran-Sasso-Untergrundlabor (3500 m Wasseräquivalentstiefe). Mit einem Probenvolumen von 15 Litern und einem extrem
geringen Untergrund sind Aktivitätskonzentrationen von bis zu as 10 μBq/kg messbar. Ein Schleusensystem verhindert das Eindringen von 222Rn in die
Messkammer. Der Germaniumkristall besitzt eine Masse von 2.2 kg und hat eine relative Empfindlichkeit von 102 %. Der Detektor wurde in einer
Kooperation mit Canberra entwickelt, wobei nur ausgesuchte Materialien mit geringer Radioaktivität verwendet wurden.
Abbildung 4: Die Detektoren Dario (links) und Bruno (rechts) mit Detektionslimits im Bereich von mBq/kg.
Abbildung 5: Detektor Corrado im Aufbau. Die Kammer aus Kupfer und die Bleiabschirmung sind sichtbar.
222Rn-Messungen
222Rn ist eines der gefährlichsten Isotope für viele Experimente, die auf einen niedrigen
Untergrund angewiesen sind. Es gehört zu der 238U-Kette, und als inertes Edelgas besitzt es eine hohe Beweglichkeit
(Diffusionskoeffizient), die es ihm erlaubt, leicht aus Materialien auszutreten und zu den aktiven Teilen des Detektors zu gelangen.
Zusammen mit seinen kurzlebigen Töchtern erzeugt 222Rn Strahlung in einem großen Energiebereich. Auch wenn das Gleichgewicht
in der Kette gebrochen wurde,(210Pb), können diese Schwermetalle mit längeren Halbwertszeiten auf Oberflächen Probleme
verursachen (z.B. erscheinen sie einige Jahre nach der Reinigung als 210Po).
Die Aktivität von 222Rn kann Proportionalzählrohren mit niedrigem Untergrund gemessen werden,
welche ursprünglich für das GALLEX/GNO-Experiment [3] entwickelt wurden. Sie sind aus sehr reinem Quarzglas handgemacht und haben ein
aktives Volumen von ungefähr 1 cm3. Der Untergrund und die Nachweiseffizienz (für Alphateilchen) von Energien oberhalb von
50-keV sind 0.1 - 1 Ereignisse pro Tag (individuell abhängig vom Zählrohr). Die Zählrohre werden in einer speziellen Gasfüllapparatur
mit Radonproben gefüllt. Die 222Rn-Emanation kann mit speziellen Emanationskammern untersucht werden. Zwei elektropolierte,
metallgedichtete Edelstahlkammern mit 20 und 80 Litern stehen zur Verfügung [4]. Für Proben bis zu 1 l Volumen stehen kleine Glasgefäße
zur Verfügung. Die absoluten Detektionslimits wurden per Emanationstest bestimmt und liegen im Bereich von μBq (∼50 Atomen). Um
Radonkonzentrationen in Gasen zu bestimmen wurde ein System MOREX (Mobile Radon Extraction Unit) aufgebaut [5]. Das System nutzt den
Vorteil, 222Rn in Aktivkohlefallen bei niedriger Temperatur zu speichern. In Verbindung mit den Zählrohren ist es möglich,
Kontaminationen in Gasen bis zu ∼0.5 μBq/m3 (STP) nachzuweisen.
Um 222Rn und 226Ra in Wasser zu analysieren, kann das STRAW-System (System for the 222Rn und 226Ra
Assay of Water) System benutzt werden [6]. Die Hauptkomponente ist ein 450-Liter-Tank worin, typischer weise 300 l Wasser von 222Rn durch
Spülen mit radonfreiem Stickstoff getrennt und anschließend in einer Aktivkohlefalle gespeichert werden. Diese Falle wird anschließend an die
Zählrohrfüllapparatur gebracht und die Probe in ein Zählrohr gefüllt. Hierbei werden Empfindlichkeiten von 0.1 und 0.8 mBq/m3 für Radon
bzw. Radium erreicht (für 222Rn Messungen liegt die Nachweisgrenze niedriger, da der Extraktionsprozess
sehr viel kürzer ist und der Untergrund des Behälters ∼0.8 mBq keine wesentliche Rolle spielt).
Zur hochempfindlichen online Analyse von 222Rn werden elektrostatische Kammern mit großem Volumen
eingesetzt [7]. Dabei wird das Prinzip genutzt, dass die meisten Radontöchter gleich nach ihrer Entstehung positiv geladen sind. Ein starkes
elektrisches Feld sammelt die Teilchen auf einer PIN-Diode, welche die nachfolgenden Alphazerfälle registriert. Die Nachweisgrenze der beiden
vom MPIK betriebenen Geräte im Bereich von 1 mBq/m3 und ∼ bzw. 0.1 mBq/m3. Der erste Detektor befindet sich
in Halle C vom Gran-Sasso-Labor und misst die Radonkonzentration von Stickstoff bei BOREXINO, der andere steht in Halle A und misst die
Radonkonzentration im Argongas vom GERDA-Experiment.
Auch sehr nützlich sind Szintillatorkammern (Lucas cells) [8], besonders für 222Rn-Messungen im Untergrundlabor
und im Reinraum... Sie sind normalerweise nicht empfindlich genug, um Verunreinigungen zu messen, weil der Szintillator (meist ZnS(Ag)) selbst
226Ra enthält. Erreichbare Empfindlichkeiten sind dabei 0.5 Bq/m3.
Abbildung 6: Einer der GALLEX/GNO HD-II-Proportionalzähler für die 222Rn-Messungen. Die Probe mit Zählgas (P10) wird
durch eine Kappillare mittels Quecksilber gedrückt.
Abbildung 7: Ein System ausgestattet mit zwei Emanationskammern: Es ist mit einem Pumpsystem (Vorvakuum- und Turbopumpe) ausgerüstet, einer He-Reinigungsfalle und einer Falle, um Radon zu sammeln.
Edelgas-Massenspektrometrie
Andere Edelgase, können auch Quellen des Untergrundes sein. In BOREXINO 39Ar oder 85Kr
kommen z.B. in Spuren im Stickstoff vor. Prinzipiell könnte man diese Konzentrationen auch mit Proportionalzählrohren bestimmen, die Aufkonzentration
gelingt nicht effizient und führt zu einer schlechteren Nachweisgrenze. Eine Lösung ist es, sich natürliches Ar und Kr zu betrachten und ein
hochempfindliches Edelgas Massenspektrometer zu benutzen. Die Konzentrationen von 39Ar und 85Kr können später aus den
gut bekannten Verhältnissen bestimmt werden. Ar/Kr wird mittels eines VG-3600-Massenspektrometers, entwickelt um seltene Gase in
niedriger Konzentration von terrestrischen und extraterrestrischen Proben zu messen, bestimmt. Neben dem Massenspektrometer gibt es noch ein
System zur Probenpräparation und zur Probenreinigung. In Ersterer kann das Volumen der Probe bestimmt werden (und wenn nötig auch aufgeteilt
werden). In Zweiterer kann die Probe von reaktiven Gasen gereinigt werden bevor sie in das Massenspektrometer geleitet wird. Zur endgültigen
Reinigung wird eine Al/Ti-Getterpumpe eingesetzt. Die Kalibration wird mit Luft oder Ar/Kr-Standards durchgeführt. Unter Berücksichtigung des
Eigenuntergrundes des Systems können folgende Nachweisgrenzen angegeben werden: 10-9
m3/m3 für Ar in N2 (∼1.4 nBq/m3 für 39Ar in N2) und 10-13
m3/m3 für Kr in N2 (∼0.1 μBq/m3 für 85Kr in N2) [9].
Einige Anwendungsbeispiele bei BOREXINO
226Ra in der Folie des inneren Tanks: Die Reinheitsanforderungen für das Baumaterial in BOREXINO, besonders des Szintillators und
seines Nylontanks, sind sehr hoch. Die noch erlaubte Verunreinigung des Zweiten mit 238U liegt im Bereich von 1 ppt, was
∼12 μBq/kg für 226Ra (im Gleichgewicht) entspricht. Diese Genauigkeit kann mit einem Germaniumspektrometer nicht erreicht werden,
weil die Folie eine geringe Dichte besitzt. So musste eine neue Technik entwickelt werden. Diese basiert auf einer Kombination von 222Rn-
Diffusions- und Emanationsmessungen und nutzt die Tatsache, dass der Diffusionskoeffizient für Radon in Nylon sehr von der Feuchte des Nylons
anhängt. Emanationsraten von feuchtem und trockenem Nylon konnten zur Bestimmung der Oberflächen- bzw. der Materialkonzentrationen auf die Größe
von 0.5 μBq/m2 bzw. 10 μBq/kg bestimmen werden [10]. Aufgrund solcher Messungen konnte das Material für den inneren Tank ausgewählt
werden. Es wurde auch gezeigt, dass 238U und 226Ra in Nylon sich nicht im Gleichgewicht befinden.
Stickstoff: Eines der wichtigsten Anwendungsgebiete von ultrasauberem Stickstoff bei BOREXINO
war die Säuberung des Szintillators. Die Reinheitsanforderung für N2 war die Folgende: 7 μBq/m3 für 222Rn,
0.4 ppm und 0.2 ppt für Ar und Kr. Solch ein Gas wurde von der Firma SOL nach Reinheits- und Transporttests, wobei das Gas wieder verunreinigt
werden könnte, geliefert [11]. Auch sollte erwähnt werden, dass das ultrareine BOREXINO-Experiment 222Rn freien Stickstoff (aus
technischer Qualität LN2 gewonnen) mit einer Rate von 100 m3/h [5] benutzt.
Einige Beispiele bei GERDA
Germaniumspektroskopie von Edelstahl: Wie auch für viele andere Experimente wurde die Germaniumspektroskopie zur Materialauswahl
für GERDA eingesetzt, der Edelstahl des Kryostaten oder das Kupfer für die Halterung der Detektoren. Die Messungen wurden
in Heidelberg und im Gran-Sasso-Labor mit den GeMPI-Detektoren durchgeführt. Eines der wichtigsten Resultate war -überraschender weise-
die Entdeckung eines sehr gering kontaminierten Stahls mit U und Th in der Größe von < 0.1 - 1 mBq/kg [12]. Stahl mit den geringsten
Kontaminationen (< 0.1 - < 0.4 mBq/kg) wurde zum Bau des zylindrischen Teils des Kryostates genutzt. Die anderen für den oberen und
unteren Teil. Die geringe Kontamination des Stahls konnte zu einer Verringerung der Kupferabschirmung genutzt werden
(bei gleichem Untergrundindex).
222Rn Messungen:
Viele Proben wie Dichtungen, Ventile, Sauerstoff/Wasser-Adsorber oder Schweißnähte sowie unterschiedliche Reinigungsmethoden wurden
untersucht (Ätzen, Elektropolieren). Seit in Experimenten LAr als Kühlmedium und als passive Abschirmung für Germaniumdetektoren genutzt
wird, ist es sehr hilfreich, die 222Rn-Konzentrationen in LAr messen zu können. Im Allgemeinen wurde festgestellt, dass Konzentrationen
von 222Rn in Ar im mBq/m3-Bereich liegen, was fast zwei Größenordnungen mehr ist als in Stickstoff. Der Einfluss der
Gasqualität ist sehr gering. Das liegt wahrscheinlich an der geringen Abnahme von LAr, welches dann in verschiedenen Tanks aufbewahrt wird.
Eine der wichtigsten Untergrundkomponenten im Experiment kommt von der 222Rn-Emanation des Kryostaten.
Simulationen haben gezeigt, dass die Emanation nicht über 14 mBq steigen sollte. Der erste Test konnte erst auf dem Gelände der
Herstellerfirma durchgeführt werden. Das Ergebnis waren ∼30 mBq. Nach einer zusätzlichen Säuberung durch Ätzen konnte der Wert auf
akzeptable 13.5 mBq gesenkt werden. Der nächste Test wird nach dem Einbau des Kupferschildes in Halle A des Gran-Sasso-Labor erfolgen.
References
[1] Heusser G. Laubenstein M and Neder H 2006 Radioactivity in the Environment 8 495
[2] Heusser G. 1995 Ann. Rev. Nucl. Part. Sci. 45 543
[3] Wink R. et al. 1993 Nucl. Instr. Meth. A 329 541
[4] Rau W. and Heusser G 2000 Appl. Rad. Isot. 53 371
[5] Heusser G. et al. 2000 Appl. Rad. Isot. 52 691
[6] Simgen H. et al. 2003 Nucl. Instr. Meth. A 497 407
[7] Kiko J. 2001 Nucl. Instr. Meth. A 460 272
[8] Wojcik M. Wlazło W. 1994 Nucl. Instr. Meth. A 345 351
[9] Zuzel G. et al. 2004 Appl. Rad. Isot. 61 197
[10] Zuzel G. et al. 2003 Nucl. Instr. Meth. A 498 240
[11] Simgen H. and Zuzel G 2007 AIP Conf. Proc. 897 45
[12] Maneschg W. et al. 2008 Nucl. Instr. Meth. Accepted for publication
Contact:
- Dr. Wolfgang Hampel
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E-Mail: Wolfgang.Hampel [at] mpi-hd.mpg.de
- Dr. Gerd Heusser
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