Abteilung für Teilchen- & Astroteilchen-Physik
 
 

Forschung: CONUS

Nachweis kohärenter Neutrino-Kern-Streuung

Eine zunächst theoretisch vorhergesagte und für die Grundlagenforschung wichtige Wechselwirkung von Neutrinos mit Materie ist die kohärente Streuung an Atomkernen. Das Experiment CONUS am Kernkraftwerk der PreussenElektra GmbH in Brokdorf soll diese genauer charakterisieren. Es beobachtet auf neuartige Weise die bei der Kernspaltung in großer Zahl entstehenden, aber für die Stromerzeugung nicht nutzbaren Neutrinos.

Neutrinos - Wechelwirkung mit Materie


Abbildung 1: Schematische Darstellung der kohärenten Neutrino-Kern-Streuung

Da Neutrinos wegen der schwachen Wechselwirkung Materie fast ungehindert durchdringen, müssen Apparate für ihren Nachweis üblicherweise sehr groß sein – mit bis zu hunderten Tonnen Material, Tendenz steigend. Im Prinzip kann ein Neutrino auf zwei Weisen mit Materie wechselwirken: Entweder mit Elektronen in der Atomhülle oder mit dem aus Protonen und Neutronen bestehenden Atomkern. Letzterer bietet die Möglichkeit, dass ein Neutrino „kohärent“ mit dem Kern als Ganzes wechselwirkt, was die Wahrscheinlichkeit eines solchen Streuprozesses ganz erheblich erhöht. Andererseits ist der Energieübertrag auf den Atomkern bei dieser kohärenten Streuung sehr klein, so wie man mit einem Tischtennisball einen Basketball zwar leicht treffen, aber nur ein ganz klein wenig bewegen kann. Deswegen braucht es für diesen Nachweis spezielle Detektoren mit sehr niedriger Energieschwelle. Davon können allerdings bereits wenige Kilogramm Material ausreichen! Die Herausforderungen eines solchen Experiments machten einen experimentellen Nachweis der theoretischen Vorhersagen aus den 1970er Jahren für mehr als 40 Jahre unmöglich. 2017 wurde die kohärente Streuung von Neutrinos an Kernen erstmals im COHERENT-Experiment nachgewiesen; hierfür wurden hochenergetische Neutrinos mit Hilfe eines Neutronen-Strahls erzeugt. Genauere Messungen, unter anderem mit niederenergetischen Reaktorneutrinos stehen aber noch aus.

Das CONUS-Experiment


Abbildung 2: Innenansicht des Sicherheitsbehälters des Kernkraftwerks in Brokdorf. Der Platz des CONUS Experiments ist mit einem roten Stern gekennzeichnet.

Nachweis und Charakterisierung der kohärenten Streuung von Neutrinos an Kernen erfordern den Aufbau eines Experiments möglichst nah an einer sehr starken, kontrollierten Neutrinoquelle. In Konkurrenz zu anderen internationalen Anstrengungen wird diese Idee mit dem Experiment CONUS (COherent Neutrino nUcleus Scattering) verwirklicht, das in Zusammenarbeit mit dem Kernkraftwerk der PreussenElektra GmbH in Brokdorf läuft. CONUS nutzt die Neutrinos aus dem Reaktor, ohne diesen in irgendeiner Weise zu beeinflussen oder gar Anforderungen an den Betrieb zu stellen. Der Abstand des experimentellen Aufbaus zum Reaktorkern beträgt nur 17 Meter. So steht ein extrem hoher Fluss von 24 Billionen Antineutrinos pro Sekunde und Quadratzentimeter aus einem der weltweit stärksten Reaktoren für Messungen zur Verfügung. Die Kombination mit der speziellen Abschirmung und den optimierten Detektoren macht das Experiment zu einem führenden Projekt.

Das CONUS-Experiment verwendet hochreine Halbleiterdetektoren aus Germanium. Sofern eine kohärente Wechselwirkung eines Neutrinos mit einem Germanium Atomkern stattfindet, schüttet der zum Wackeln gebrachte Atomkern diese Energie an seine Umgebung wieder ab. Dabei werden Elektronen in den Atomhüllen der benachbarten Atome freigesetzt. Diese Wolke aus freien Ladungsträgern driftet innerhalb des Detektors, der unter Spannung steht, zur Ausleseelektrode und wird dort in ein elektrisches Signal umgewandelt. Um mögliche Störsignale zu verringern ist der Detektor von einer Abschirmung aus mehreren Schichten von höchstreinem Blei und mit Bor beladenem Polyethylen umgeben. Diese Abschirmung schützt ihn vor Umweltradioaktivität. Zusätzlich ist der Aufbauort am Reaktor durch Beton und Wasser gegen die kosmische Myonen-Strahlung abgeschirmt. Der restliche Anteil dieser Störstrahlung wird mit einem aktiven Myonveto in Echtzeit detektiert und verworfen. Das Design der Abschirmung basiert auf der langjährigen Erfahrung des MPIK, das weltweit führend auf diesem Gebiet ist.

Status des Experiments

Anfang April 2018 hat das CONUS-Experiment seinen Messbetrieb aufgenommen. Zu Beginn war der Reaktor einen Monat lang abgeschaltet und wurde dann wieder angefahren. Ein Vergleich der Daten aus beiden Phasen ergab bereits nach zwei Monaten einen Hinweis auf den gesuchten Prozess. Mit höherer Statistik aus längeren Datennahmen und durch genauere Analysen wird es der CONUS-Kollaboration gelingen, in den nächsten Jahren die kohärente Neutrino-Kern-Streuung mit Reaktorneutrinos eindeutig nachzuweisen und genauer unter die Lupe zu nehmen. Nach dem planmäßigen Ende des Reaktorbetriebs Ende 2021 soll CONUS noch ein Jahr weitermessen, um die für die Auswertung der Daten wertvollen Hintergrundsignale genauer zu charakterisiere

Anwendungen

Der Nachweis und die genaue Vermessung der kohärenten Streuung von Neutrinos an Atomkernen sind für die Grundlagenforschung von fundamentaler Bedeutung, da sie Einblicke in unterschiedliche Prozesse des Mikrokosmos gewähren. Das CONUS-Experiment am Kernreaktor in Brokdorf bietet die einzigartige Gelegenheit, den Prozess der kohärenten Neutrino-Kern-Streuung erstmalig im Energiebereich der Reaktorneutrinos mit modernster Germanium-Detektortechnologie nachzuweisen.
Die Vermessung der kohärenten Neutrinostreuung an Atomkernen ist jedoch nicht nur für die Grundlagenforschung im Bereich der Teilchenphysik interessant. Auch bei den meisten bedeutenden astrophysikalischen und kosmologischen Vorgängen im Universum spielen Neutrinos eine wesentliche Rolle. Dazu gehören etwa Sternexplosionen (Supernovae), bei denen ebenfalls unvorstellbare Mengen an Neutrinos freigesetzt werden, welche kohärenten Streuprozessen mit Kernen unterliegen.
Eine potentielle zukünftige Anwendungsmöglichkeit ist die Überwachung von Kernreaktoren. Die präzise Messung des Neutrinoflusses an Kernreaktoren mithilfe kohärenter Neutrino-Kern-Streuung eignet sich prinzipiell, insbesondere aufgrund der im Vergleich deutlich geringeren Größe solcher Detektoren, zur Reaktorüberwachung oder Messung der thermischen Leistung.

Kontakt

  • Prof. Dr. Dr. h.c. Manfred Lindner:
    Tel: +49 6221 516800
    E-Mail: manfred.lindner [at] mpi-hd.mpg.de
  • Dr. Werner Maneschg:
    Tel: +49 6221 516287
    E-Mail: werner.maneschg [at] mpi-hd.mpg.de
  • Dr. Christian Buck:
    Tel: +49 6221 516829
    E-Mail: christian.buck [at] mpi-hd.mpg.de
 
 


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