Hochgeladene Xenon-Ionen als Sensoren für fünfte Kraft

In einer umfassenden spektroskopischen Studie erwiesen sich hochgeladene Xenon-Ionen als hervorragende Kandidaten für die Erforschung neuer physikalischer Phänomene. Dreizehn atomare Übergänge wurden identifiziert und gemessen und ihre Empfindlichkeit gegenüber einer fünften Kraft sowie die Unterdrückung von störenden Effekten höherer Ordnung des Standardmodells theoretisch untersucht.

Das sogenannte Standardmodell (SM) der Physik beschreibt die bekannten Elementarteilchen und ihre fundamentalen Wechselwirkungen. Obwohl es für Hochenergieexperimente wie am CERN und im atomaren und molekularen Bereich sehr gut funktioniert, erklärt es weder die Dominanz der Materie gegenüber der Antimaterie noch Neutrino-Oszillationen und offensichtliche Hinweise auf Dunkle Materie. Neben der aktuellen Suche nach neuer Physik an Beschleunigern stellen neue Hochpräzisionsexperimente in der Atomphysik zunehmend die Grenzen des SM auf die Probe und erforschen mögliche Alternativen und Erweiterungen des SM.

Eine grundsätzliche Möglichkeit ist eine hypothetische fünfte Kraft zwischen Elektronen und Neutronen. Sie würde - abhängig von der Anzahl der Neutronen im Kern - zu zusätzlichen winzigen Verschiebungen der Frequenzen atomarer Übergänge führen. In den letzten Jahren wurden in einer Reihe von Experimenten solche Isotopenverschiebungen (IS) um viele Größenordnungen präziser bestimmt, als dies vormals möglich war. Das klassische Werkzeug für deren Analyse, der so genannte King-Plot, parametrisiert die bekannten Effekte der Kernmasse und der endlichen Kerngröße und liefert eine lineare Beziehung für diese Isotopenverschiebungen. Mit der jüngsten enormen Verbesserung der Genauigkeit wird der King-Plot zu einem Mikroskop für kleinste Wechselwirkungen jenseits der SM-Beschreibung.

Hochgeladenes Xenon als Kandidat für die Suche nach einer fünften Kraft

In einer neuen bei Physical Review Letters veröffentlichten Studie haben Physiker des Max-Planck-Instituts für Kernphysik (MPIK), der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) und der University of New South Wales (UNSW) hochgeladene Xenon-Ionen als hervorragende Kandidaten für die Untersuchung einer fünften Kraft identifiziert. „Der King-Plot braucht genügend Datenpunkte, um auf das Vorhandensein einer unbekannten Wechselwirkung zu schließen, die gebundene Elektronen mit den Neutronen im Kern koppelt“, erklärt Nils Rehbehn, Doktorand in der Gruppe von José Crespo am MPIK. „Das bedeutet: Möglichst viele elektronische Übergänge und möglichst viele stabile Isotope mit einer geraden Massenzahl.“ Xenon ist dafür ideal, denn es hat sieben solcher Isotope.

Theorie bietet neue spektroskopische Analyse mit verbesserter Präzision

Eine fünfte Kraft würde zu einem nichtlinearen Verhalten des King-Plots führen. Unzureichend verstandene SM-Effekte höherer Ordnung (‚spurions‘) könnten jedoch ebenfalls Nichtlinearitäten hervorrufen, die eine fünfte Kraft vortäuschen. Um dies zu umgehen, entwickelte Julian Berengut (UNSW) einen neuen verallgemeinerten, mehrdimensionalen King-Plot, der mehr Übergänge und Isotopenpaare verwendet, um einen größeren Satz linearer Gleichungen zu erstellen, die zur Isolierung dieser SM-Effekte höherer Ordnung geeignet sind: „Wir brauchen nicht einmal genaue Kenntnisse über die Kernmassen. Mit sieben stabilen, geraden Isotopen von Xe können wir mit einem fünfdimensionalen King-Plot bis zu drei ‚spurions‘ in den Griff bekommen.“

Die Physiker haben nach dreizehn ‚verbotenen‘ optischen Übergängen gesucht, sie gefunden und genau vermessen. „Diese Linien sind eine Million Mal schwächer als normale optische Emissionslinien, und wir haben ihre Wellenlängen mit einer Präzision gemessen, die uns helfen wird, sie später mit extrem schmalbandigen Lasern zu finden“, erklärt Gruppenleiter José Crespo das Hauptziel dieser anspruchsvollen Untersuchung. „Eine der Grundzustandsanregungen hat eine Lebensdauer von 500 s - ein potenzieller Zeitgeber, der unser vorgeschlagenes System weiter verbessert.“

Weitere Suche nach atomaren Übergängen als Sensoren für neue Physik und Kerneigenschaften

Die Xe-Isotope stellen somit das umfassendste System zur Untersuchung einer hypothetischer fünften Kraft dar, selbst bei Vorhandensein von ‚spurions‘. Doktorand Michael Rosner über die nächsten Ziele: „Wir werden unsere Suche nach atomaren Übergängen fortsetzen, die auf andere Erscheinungsformen einer fünften Kraft reagieren. Unsere Spektroskopie kann auch Kerneigenschaften, wie die Deformation von Kernen, genau bestimmen und so den Weg für eine empfindlichere Suche nach Physik jenseits des SM ebnen.“


Originalpublikation:

Narrow and Ultranarrow Transitions in Highly Charged Xe Ions as Probes of Fifth Forces
Nils-Holger Rehbehn, Michael K. Rosner, Julian C. Berengut, Piet O. Schmidt, Thomas Pfeifer, Ming Feng Gu and José R. Crespo López-Urrutia
Physical Review Letters 131, 161803 (2023). DOI: 10.1103/PhysRevLett.131.161803


Weblinks:

Gruppe „Dynamik hochgeladener Ionen“ am MPIK


Kontakt

Nils-Holger Rehbehn
MPI für Kernphysik
Tel.: +49 6221 516-505
nils.rehbehn@mpi-hd.mpg.de

Associate Professor Dr. Julian Berengut
School of Physics
University of New South Wales
Sydney, New South Wales 2052, Australia
julian.berengut@unsw.edu.au

PD Dr. José Crespo López-Urrutia
MPI für Kernphysik
Tel.: +49 6221 516-521
crespojr@mpi-hd.mpg.de


Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Dr. Renate Hubele / PD Dr. Bernold Feuerstein
Tel.: +49 6221 516-651 / +49 6221 516-281
oea@mpi-hd.mpg.de


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Abb. 1: Darstellung der Heidelberger Elektronenstrahl-Ionenfalle (HD-EBIT). Die hochgeladenen Xe-Ionen werden durch den Elektronenstoß erzeugt und angeregt. Die Analyse des Fluoreszenzlichts erfolgt mit einem hochauflösenden optischen Spektrometer.