Dunkle Materie – Strukturbildner im Universum

Astronomische Beobachtungen wie der Umlauf der Sterne in Galaxien, Gravitationslinsen in Galaxienclustern oder der kosmische Mikrowellenhintergrund legen es nahe, dass das Universum zu etwa 27% aus Dunkler Materie (DM) besteht, während der Anteil normaler sichtbarer Materie nur etwa 5% beträgt. Der Rest ist die mysteriöse Dunkle Energie, die für die beobachtete beschleunigte Ausdehnung des Universums verantwortlich gemacht wird.

Aufgrund theoretischer Überlegungen sind schwach wechselwirkende schwere Teilchen, WIMPs genannt, aussichtsreiche Kandidaten für Dunkle Materie, da solche Teilchen im frühen Universum in der erforderlichen Menge entstanden sein sollten, und weil – ohnehin notwendige – Erweiterungen des Standardmodells der Teilchenphysik sie vorschlagen. Forscher am MPIK betrachten aber auch alternative Möglichkeiten, die durch andere theoretische Aspekte motiviert sind. Beispiele sind „Axionen“, „sterile Neu­trinos“ oder nur über die Schwerkraft wechselwirkende Teilchen. Außerdem soll eine Analyse der Daten verschiedener Experimente im Zusammenhang deren Widersprüche aufklären und zu einem globalen Bild führen.

Das MPIK beteiligt sich an der direkten Suche nach WIMPs mit den XENON-Experimenten im Gran-Sasso-Untergrundlabor in Italien, die hochreines flüssiges Xenon als Detektormedium verwenden. Die Detektoren sind in der Lage, Szintillationslicht und elektrische Ladung korreliert zu messen, die bei den erwarteten seltenen Stößen von WIMPs mit Xenon-Atomen entstehen. XENON1T hat die weltweit höchste Empfindlichkeit derartiger Experimente erreicht und ist weit in den vorhergesagten Parameterbereich von WIMPs und anderen DM-Teilchen eingedrungen, hat aber kein Signal gesehen. Diese hohe Empfindlichkeit ermöglichte es, quasi nebenbei eine Halbwertszeit von unvorstellbaren 1.8 × 1022 Jahren für den doppelten Elektroneneinfang in 124Xe zu messen. Ein größerer Detektor (XENONnT) mit der dreifachen aktiven Xenonmasse, der dieselbe Infrastruktur nutzt, ist am Start und soll eine 10-fache Steigerung der Empfindlichkeit bringen.

Außerdem suchen die H.E.S.S.-Teleskope nach hochenergetischen Gammastrahlen aus der Annihilation von Dunkle-Materie-Teilchen im DM-Halo der Milchstraße.

Low-Level-Techniken

Bei Experimenten, die seltene Ereignisse suchen, spielen Identifizierung und Reduktion des störenden Hintergrunds eine entscheidende Rolle. Das MPIK hat jahrzehntelange Erfahrung und Expertise mit Low-Level-Techniken. Das Untergrundlabor des Instituts ist gegen kosmische Strahlung abgeschirmt und bietet ideale Bedingungen für die Entwicklung von Detektoren für derartige Experimente. Hochempfindliche Gammaspektrometer und Proportionalzähler dienen der Überprüfung von Materialien auf radioaktive Verunreinigungen und sind die Basis von Analysetechniken für extrem niedrige Konzentrationen von Radioisotopen.

Die natürlich vorkommenden Radioisotope 222Rn und 85Kr sind die am meisten störenden Verunreinigungen, für die verschiedene Abschirmungs-, Mess- und Reduktionsmethoden angewandt werden. „Auto-Ema“ extrahiert vollautomatisch das aus festem Material austretende Radon. Das erleichtert seine empfindliche Messung und somit die Materialauswahl für Detektoren. Edelgas-Massenspektrometrie ist mittlerweile so empfindlich, dass 85Kr in Xe auf 10–23 genau kontrollierbar ist. Neue Oberflächen-Beschichtungstechniken sollen den Hintergrund in bisher unerreichtem Maß verringern, um höchste Sensitivität für Dunkle Materie zu erzielen.


Neutrinos – Teilchen mit verblüffenden Eigenschaften

Neutrinos sind elektrisch neutrale Elementarteilchen mit winziger Masse, von denen es drei Sorten gibt. Neben Photonen sind sie die häufigsten Teilchen im Universum, aber wir bemerken sie nicht, weil sie nur selten mit Materie wechselwirken und diese nahezu ungehindert durchdringen. Ihr Nachweis erfordert empfindliche Detektoren mit bester Abschirmung gegen Störeinflüsse.

Beim Betazerfall, wenn ein Neutron in ein Proton und ein Elektron zerfällt, wird auch ein Antineutrino frei und es entsteht das Element mit der nächsthöheren Ordnungszahl. Manche Atomkerne, darunter das Germanium-Isotop 76Ge, zeigen statt des einfachen den doppelten Betazerfall: es zerfallen zwei Neutronen gleichzeitig – mit Emission von zwei oder möglicherweise keinem Neutrino. Das GERDA-Experiment suchte nach dem neutrinolosen doppelten Betazerfall in reinen, stark mit 76Ge angereicherten Germaniumkristallen. Sollte er möglich sein, ist der neutrinolose Doppelbetazerfall extrem selten. Bisher fand man keinen Hinweis auf den Zerfall – nur dass dessen Halbwertszeit in 76Ge mindestens 1,8 × 1026 Jahre beträgt. Das Nachfolgeprojekt LEGEND200 basiert auf GERDA und wird mit wesentlich mehr Germanium die Empfindlichkeit stark erhöhen. Ein Signal würde zeigen, dass Neutrinos ihre eigenen Antiteilchen, sogenannte Majorana-Teilchen sind, und man könnte daraus ihre Masse ableiten.

Für die Ruhemasse der Neutrinos sind bisher nur Grenzen und Differenzen bekannt. Andere Experimente zur Bestimmung der Neutrinomasse beruhen auf dem Einfang eines Elektrons durch ein Proton im Kern. Zusätzlich ist die Kenntnis der exakten Massendifferenz zwischen Mutter- und Tochterkern erforderlich. Eine Gruppe am MPIK führt derartige Präzisionsmessungen durch.

Die drei Neutrinosorten Elektron-, Myon- und Tauon-Neutrino wandeln sich periodisch ineinander um („Neutrino-Oszillationen“). Deshalb misst man mit zunehmendem Abstand von einem Kernreaktor, der eine starke Quelle von Elektron-Antineutrinos ist, immer weniger dieser Neutrinos. So konnte unter anderen das Double-Chooz-Experiment bestätigen, dass alle Oszillationen stattfinden und diese genau vermessen. Allerdings messen viele Experimente bei Kernreaktoren insgesamt etwa 6% weniger Neutrinos als erwartet. Das STEREO-Experiment versucht herauszufinden, ob sogenannte sterile, also nicht wechselwirkende, Neutrinos für diese Reaktorneutrino-Anomalie verantwortlich sind. Der mehrteilige Detektor misst mit seinem flüssigen Gadolinium-haltigen Szintillator Elektron-Antineutrinos. Eine Umwandlung in sterile Neutrinos würde sich in deren Energiespektren zeigen.

Reaktorneutrinos nutzt auch das CONUS-Experiment, das die kohärente Neutrino-Kern-Streuung, also die Streuung von Neutrinos am Kern als Ganzem, erforscht. Hochreine Germaniumdetektoren mit niedriger Energieschwelle registrieren den winzigen Energieübertrag bei diesem Streuprozess, der aber erheblich wahrscheinlicher ist als die Wechselwirkung von Neutrinos mit Elektronen.