H.E.S.S.-Teleskop entdeckt kosmische Uhr

Eine pulsierende "Gammastrahlen-Uhr" in unserer Galaxis

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Die Astrophysiker des H.E.S.S.-Teleskop-Systems in Namibia haben pulsierende höchst­energetische Gammastrahlung aus einem Binärsystem in unserer Galaxis entdeckt. Zum ersten Mal wurde damit eine zyklische Modulation der Strahlung bei solch hohen Energien gemessen; bisherige Beobachtungen waren auf 100000-mal kleinere Energien beschränkt. Quelle der Strahlung ist ein Doppelsternsystem mit Katalognamen LS 5039, in dem ein kompakter Körper — ein Neutronenstern oder schwarzes Loch — in nur vier Tagen auf einer exzentrischen Bahn um einen blauen Riesenstern rast. Der blaue Stern ist 20 mal so schwer wie die Sonne, der Begleiter "wiegt" einige Sonnenmassen. Die Intensität der Gammastrahlung pulsiert mit einer Periode von vier Tagen, entsprechend der Umlaufzeit des Begleiters. Mit dem Abstand der beiden Sterne ändern sich offensichtlich die Bedingungen für die Beschleunigung hoch­energetischer Teilchen und für die Abstrahlung von Gamma-Quanten. Je nach Orientierung der beiden Sterne kann die Gammastrahlung auch in dem intensiven Licht des blauen Riesensterns "steckenbleiben".
Diese Entdeckung zeigt unter anderem, dass der kosmische Teilchenbeschleuniger in LS 5039 für astronomische Maßstäbe sehr kompakt gebaut ist — er kann nicht viel größer als der Abstand Sonne-Erde sein — und erlaubt neue Einsichten in die Prozesse in solchen extremen Umgebungen.

Das Binärsystem LS 5039
Das Binärsystem LS 5039
Gammastrahlung: Gammastrahlung ist elektromagnetische Strahlung, wie auch sichtbares Licht oder Röntgenstrahlung, jedoch mit einer viel höheren Energie. Die Energie des sichtbaren Lichts liegt im Bereich eines Elektronvolts (1 eV), einer Energie-Einheit der Physiker. Röntgen­strahlen haben einige 100 eV bis einige zig-tausend eV. H.E.S.S. weist Gammastrahlen mit Energien bis zu tausend Milliarden eV nach, auch Tera-Elektronvolt (TeV) genannt. Diese sehr hochenergetischen Gammastrahlen sind sehr selten: sogar im Falle starker Quellen trifft nur etwa ein Gamma-Quant pro Monat pro Quadratmeter auf unsere Erdatmosphäre.

In der letzten Ausgabe der Zeitschrift "Astronomy and Astrophysics" (link zum PDF) berichtet die H.E.S.S.-Forschergruppe über die Entdeckung zyklisch pulsierender Gammastrahlung aus dem Binärsystem LS 5039. Dieses Binärsystem (siehe Abbildung) besteht aus einem blauen Riesenstern, den ein kompakter Begleiter — ein Neutronenstern oder ein schwarzes Loch — umkreist. Viele Sterne in unserer Galaxis bilden Doppelsternsysteme; Einzelsterne wie unsere Sonne sind eher eine Ausnahme. Aber selten kommen sich Doppelsterne so nahe wie in LS 5039: der Abstand der beiden Sterne beträgt nur einen Bruchteil des Abstands zwischen Erde und Sonne und der kleinste Abstand auf der exzentrischen Bahn des Begleiters entspricht der doppelten Größe des blauen Sterns. Eine Umkreisung des Riesensterns dauert nur knapp vier Tage.

LS 5039 wurde 2005 als Quelle hochenergetischer Gammastrahlung entdeckt; das H.E.S.S.-Team hatte darüber in der Zeitschrift "Science" berichtet. In neueren umfangreichen Beobachtungen haben die H.E.S.S.-Astrophysiker jetzt eine zyklische Veränderung der Intensität der Gammastrahlung entlang der Bahn des Begleitsterns nachgewiesen; LS 5039 ist damit die erste "Uhr" am Gammastrahlen-Himmel.

Die Gammastrahlung ist am stärksten, wenn der kompakte Begleitstern von der Erde aus gesehen "vor" dem blauen Stern steht, und am schwächsten, wenn er dahinter steht. Da die Bahnebene aber gegen die Sichtlinie gekippt ist, kann es sich dabei nicht um einen reinen Abschattungseffekt handeln. "Dazu kommt, dass sich auch das Spektrum der Gammastrahlen entlang des Orbits ändert: "Vor" dem blauen Stern ist die Strahlung sehr viel "härter", das heißt energetischer", bemerkt Gavin Rowell vom MPI für Kernphysik.

Die beobachtete Gammastrahlung entsteht vermutlich, wenn der Sternenwind des blauen Riesensterns auf den Begleitstern trifft. Dieser Sternenwind entspricht unserem "Sonnenwind", der zum Beispiel die Nordlichter verursacht, ist aber wegen der heißen Atmosphäre des blauen Sterns sehr viel intensiver. In der turbulenten Kollisionszone können Elementarteilchen auf höchste Energien beschleunigt werden, die ihrerseits dann die beobachteten Gamma-Quanten abstrahlen. Wenn der Begleitstern entlang seiner exzentrischen Bahn immer tiefer in den Sternenwind und in das intensive Licht des blauen Sterns eintaucht, ändern sich die Arbeitsbedingungen für den kosmischen Beschleuniger und damit auch Intensität und Energiespektrum der Gammastrahlung. Der Begleitstern dient quasi als Messinstrument für die extremen Prozesse, die sich in der Nähe des blauen Sterns abspielen.

Zur Modulation der Gammastrahlung trägt auch noch ein anderer geometrischer Effekt bei: Seit Einsteins berühmter Gleichung (E=mc²) wissen wir, dass Strahlung und Materie ineinander umgewandelt werden können. Genau dies passiert, wenn ein Gamma-Quant auf Licht des blauen Sterns trifft: ein Elektron-Positron-Paar entsteht. Das Sternenlicht stellt daher eine Art Nebel dar, durch den die Gammastrahlung hindurch muss, wenn der Begleitstern hinter dem blauen Riesenstern steht. "Diese periodische Abschwächung der Gammastrahlung ist ein schönes Beispiel für die Erzeugung von Materie durch Strahlung, aber andererseits macht der Effekt es schwieriger für uns, den Teilchenbeschleuniger direkt zu sehen", so Guillaume Dubus vom Astrophysikalischen Laboratorium in Grenoble, LAOG.

Die vom H.E.S.S.-Team beobachtete Modulation der Strahlung ist daher vermutlich eine Kombination zweier Effekte, der Änderung der Bedingungen für Teilchenbeschleunigung entlang der Bahn des Begleitsterns, und dem "Nebel", den das intensive Sternenlicht für die Gammastrahlung darstellt. "Zum ersten Mal in der Geschichte der Gamma-Astronomie bei höchsten Energien können wir mit einem kosmischen Beschleuniger quasi experimentieren und sehen, wie er auf die sich periodisch verändernde Umgebung reagiert", sagt Mathieu de Naurois vom Institut für Kern- und Hochenergiephysik LPNHE in Paris.

Diese neue Entdeckung und die genauen Messungen des H.E.S.S.-Teams helfen, die Umgebung von stellaren schwarzen Löchern und Neutronensternen sowie die Mechanismen der kosmischen Teilchenbeschleuniger besser zu verstehen.

Kontakt-Adressen:

Dr. Mathieu de Naurois
Laboratoire de Physique Nucléaire et de Hautes Énergies,
4 Place Jussieu, Tour 33 r.d.c.,
75252 Paris Cedex 05, FRANCE
Tel +33 1 4427 2324

Dr. Gavin Rowell &
Prof. Felix Aharonian
Max-Planck-Institut für Kernphysik
Saupfercheckweg 1
69117 Heidelberg, GERMANY
GR derzeit am Department of Physics,
University of Adelaide, AUSTRALIA
Tel. GR +61 8 8303 8374 &
       FA +49 6221 516510

Dr. Guillaume Dubus
Laboratoire Leprince Ringuet,
École Polytechnique
derzeit am Laboratoire d’Astrophysique de Grenoble, BP 53
F-38041 Grenoble Cedex 9, FRANCE
Tel +33 4 7663 5519
Modulation der Intensität der Gammastrahlung von LS 5039 
entlang der Bahn der Begleitsterns
Modulation der Intensität der Gammastrahlung von LS 5039 entlang der Bahn der Begleitsterns
H.E.S.S.-Messungen der Strahlungsintensität als Funktion der Position entlang der Bahn, über zwei volle Umkreisungen wiederholt (der Bereich von 0 bis 1 entspricht einer Umkreisung). Die Messpunkte wurden über viele Umkreisungen aufgenommen; jeder Punkt entspricht einer Messung von einer halben Stunde.
Animierte Himmelskarte von LS 5039
Die animierte Karte des Gammastrahlen-Himmels um LS 5039 illustriert wie die Strahlungsintensität (rechts) mit der Position entlang des Orbits (links) variiert
Zu H.E.S.S.


Die Forschergruppe: Der internationalen Forschergruppe des High Energy Stereoscopic System (H.E.S.S.) gehören Wissenschaftler aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Tschechien, Polen, Armenien, Südafrika und Namibia an.

Das Experiment: Die Resultate wurden mit den Teleskopen des High Energy Stereoscopic System (H.E.S.S.) in Namibia (Süd-West-Afrika) erzielt. Dieses System, bestehend aus vier Teleskopen mit einem Spiegeldurchmesser von je 13 m, ist zur Zeit das empfindlichste Instrument zur Messung sehr hochenergetischer kosmischer Gammastrahlung. Diese Strahlung wird in der Erdatmosphäre absorbiert, wobei ein kurzlebiger Schauer aus vielen Millionen Teilchen entsteht. Die Teilchen senden hierbei sehr kurze (wenige Nanosekunden) und schwache Lichtblitze aus (sogenanntes Tscherenkow-Licht), welches von den extrem empfindlichen Kameras der H.E.S.S.-Teleskope aufgezeichnet wird. Jedes Bild entspricht einem einzelnen Gamma-Photon und aus der aufgezeichneten Lichtmenge lässt sich dessen Energie bestimmen. Durch die Kombination aller aufgezeichneten Ereignisse erhält man ein Bild des Himmels bei sehr hohen Energien.

Die H.E.S.S.-Teleskope wurden in mehreren Jahren von einem internationalen Team aus über 100 Wissenschaftlern und Technikern aufgebaut. Das Experiment wurde im September 2004 durch den Namibianischen Premierminister Theo-Ben Gurirab eingeweiht und schon die ersten Resultate stellten wichtige Entdeckungen dar, wie beispielsweise das erste astronomische Bild einer Schockwelle in einer Supernova in den höchsten Gamma-Energien.

Pläne für die Zukunft: Die an H.E.S.S. beteiligten Wissenschaftler arbeiten weiter am Ausbau und an der Verbesserung der Teleskope. Die Installation eines weiteren, riesigen zentralen Teleskops mit einem Spiegeldurchmesser von 30 m(!) hat begonnen. Das verbesserte System (H.E.S.S.-II genannt) wird noch sensitiver sein und gleichzeitig einen größeren Energiebereich der Gammastrahlung abdecken, so dass der Katalog der hochenergetischen Gamma-Quellen um zahlreiche Objekte erweitert werden wird.

Fotografie der H.E.S.S.-Teleskope

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