Das H.E.S.S.-Team, eine international zusammengesetzte Forschergruppe von Astrophysikern und Teilchenphysikern, hat über die Entdeckung hochenergetischer Gamma-Strahlung aus der Radiogalaxie M 87 berichtet. Die Forschergruppe betreibt in Namibia ein System aus vier sogenannten Tscherenkow-Teleskopen, mit dem die Gamma-Strahlung der nahe gelegenen Radiogalaxie M 87 in den letzten vier Jahren gemessen wurde. Das überraschendste Ergebnis ist dabei, dass sich die Intensität dieser Strahlung zum Teil innerhalb von nur wenigen Tagen drastisch ändert.
Die riesige Radiogalaxie M 87:
Die Radiogalaxie M 87 befindet sich im Virgo-Galaxienhaufen,
50 Millionen Lichtjahren von der Erde entfernt. Das Zentrum von M 87
beherbergt ein supermassives schwarzes Loch mit einer Masse von
3 Milliarden Sonnenmassen. Aus dem zentralen Bereich von M 87 tritt ein
relativistischer Plasmastrom aus, ein sogenannter Jet, der in optischen-,
in Radio- und in Röntgen-Aufnahmen sichtbar ist. Im Gegensatz zu den bislang
nachgewiesenen extragalaktischen Quellen sehr hochenergetischer Gamma-Strahlung
(Blazare, siehe Kasten), zeigt der
Plasmastrom von M 87 aber nicht direkt auf die Erde, sondern weist mit einem
Winkel von 30 Grad an ihr vorbei.
Die aus Blazaren nachgewiesene Gamma-Strahlung wird vermutlich in den
Plasmaströmen erzeugt, wobei die Intensität und Energie der Strahlung aufgrund der
hohen Geschwindigkeit des Plasmastroms in Richtung des Stroms gebündelt und
verstärkt wird. Solch gebündelte Strahlung aus dem Jet in M 87 würde aber die
Erde gar nicht treffen. M 87 stellt daher vermutlich einen ganz neuen Typ
extragalaktischer Quellen von hochenergetischer Strahlung dar.
Erste Anzeichen hochenergetischer Gamma-Strahlung aus M 87 wurden im Jahre 1998 von den HEGRA-Teleskopen (einem Vorgängerexperiment) entdeckt, die Messungen der H.E.S.S.-Teleskope stellen dieses Ergebnis nun auf eine solide Basis. Die Emission von M 87 ist sehr schwach, und keine andere Radiogalaxie wurde bislang im sehr hochenergetischen Gamma-Bereich nachgewiesen - vermutlich deshalb, weil die meisten Radiogalaxien weiter entfernt sind als M 87.
Was wir aus der Kurzzeitvariabilität lernen:
Aus der Zeitskala der Variabilität lässt sich die maximale Ausdehnung der Region
bestimmen, aus der die Gamma-Strahlung kommt. Da die Gamma-Quanten aus den
weiter entfernt gelegenen Bereichen der Quellregion länger zu uns brauchen,
kann die gemessene Variabilitäts-Zeitskala nicht viel kürzer sein, als die Zeit,
die die Strahlung benötigt, um die Quellregion zu durchqueren.
Diese Methode wird häufig verwendet, um die Größe
der Quellregion eines weit entfernten Objekts zu bestimmen und kann insbesondere
auch dann benutzt werden, wenn die Quellregion so klein ist, daß sie mit anderen
Techniken gar nicht mehr aufgelöst werden kann.
Die von H.E.S.S. gemessene Variabilitäts-Zeitskala der hochenergetischen
Strahlung von M 87 ist mit wenigen Tagen sehr kurz -
kürzer als in jedem anderen Wellenlängenbereich.
Die Quellregion der hochenergetischen Strahlung kann demnach nur etwa so
groß sein wie unser Sonnensystem (1013 m,
nur etwa 0.000001% der Größe der gesamten Radiogalaxie M 87).
"Dies ist nicht viel größer als der Ereignishorizont des
supermassiven Schwarzen Lochs im Zentrum von M 87",
bemerkt Dr. Matthias Beilicke, einer der beteiligten Wissenschaftler von
der Universität Hamburg.
Relativistische Effekte, die in den sonstigen,
bislang nachgewiesenen extragalaktischen Quellen (Blazare) eine Rolle spielen
und die den Zusammenhang zwischen Zeitvariation und Quellgröße modifizieren,
sollten im Fall von M 87 von untergeordneter Bedeutung sein, da der
Plasmastrom von M 87 nicht auf die Erde gerichtet ist.
Die hochenergetische Gammastrahlung entsteht damit höchstwahrscheinlich in der unmittelbaren Umgebung des supermassiven schwarzen Lochs im Zentrum von M 87; andere Strukturen in M 87, wie beispielsweise der Plasmastrom, haben tendenziell größere Dimensionen. Die Physik der Emissionsprozesse ist allerdings noch nicht wirklich verstanden. Wegen der Nähe zum schwarzen Loch wird auch über ganz neuartige Mechanismen diskutiert; so könnten zum Beispiel im Feld eines rotierenden schwarzen Lochs Wasserstoffkerne auf extreme Energien beschleunigt werden und dann Gamma-Quanten abstrahlen. In dieser Umgebung des schwarzen Lochs wird auch ein Teil der vom schwarzen Loch angesaugten Materie in den relativistischen Plasmastrom umgeleitet; ein Vorgang, der unter Astrophysikern noch nicht genau verstanden ist. Die Tatsache, dass hochenergetische Gamma-Strahlung ungehindert aus dieser "aktiven" Region entkommen kann, mag auf den ersten Blick erstaunen. Dies ist jedoch möglich, da in das schwarze Loch in M 87 offensichtlich vergleichsweise wenig Materie einfällt, und es im Vergleich zu vielen anderen Schwarzen Löchern noch eine eher "harmlose" Umgebung darstellt.
Zukunftsweisende Resultate durch H.E.S.S.:
Mit dieser und den vorangegangenen Entdeckungen extragalaktischer
Quellen liefert H.E.S.S. einen wichtigen Beitrag zur Entschlüsselung
der Prozesse, die zur Erzeugung der außerordentlich hochenergetischen
Gamma-Quanten führen. Die Radiogalaxie M 87 stellt ein einzigartiges
Labor zur Untersuchung des Kerns einer solchen aktiven Galaxie dar, in
deren Zentrum ein schwarzes Loch als kraftvoller Motor geladene Teilchen
auf extrem hohe Energien beschleunigt. M 87 kann mit den zahlreicheren
(aber weiter entfernten) Blazaren verglichen werden, in denen jedoch im
Gegensatz zu M 87 der Plasmastrom unseren Blick auf die Zentralregion
verbirgt. Mit Hilfe von H.E.S.S. konnte im Falle von M 87 nun ein
klarer Einblick in den "Maschinenraum" einer Galaxie erreicht werden,
der zu einem besseren Verständnis aller extragalaktischer Quellen
hochenergetischer Gamma-Strahlung führen kann.