Gamma-Strahlung vom Rand eines supermassiven schwarzen Lochs entdeckt

H.E.S.S. weist variable Emission von hochenergetischer Gammastrahlung aus dem Zentralbereich der riesigen Radiogalaxie M 87 nach

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In der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins "Science" berichten die Astrophysiker der internationalen H.E.S.S.-Forschergruppe über die Entdeckung schnell veränderlicher, sehr hochenergetischer Gamma-Strahlung aus der riesigen Radiogalaxie M 87. M 87 ist die bislang einzige Radiogalaxie, aus der Gamma-Strahlung höchster Energien nachgewiesen wurde - Energien, die eine Million mal eine Million mal energiereicher sind als das sichtbare Licht. Besonders überraschend ist die Entdeckung, dass sich die Intensität dieser Strahlung innerhalb von nur wenigen Tagen drastisch ändern kann. Solch schnelle Änderungen des Strahlungsflusses kann man nur verstehen, wenn die Quellregion der hochenergetischen Gamma-Strahlung ungewöhnlich kompakt ist. Die einzige in Frage kommende Region ist die unmittelbare Umgebung des supermassiven Schwarzen Lochs im Zentrum von M 87.

Hubble-Space-Telescope-Bild von M 87

Die Radiogalaxie M 87 im Optischen: Der helle Zentralbereich, in dem sich das schwarze Loch befindet und aus dem die hochenergetische Gamma-Strahlung nachgewiesen wurde, ist oben links und der relativistische Plasmastrom erstreckt sich nach unten rechts. Bild: Hubble Space Telescope (HST)

Gamma-Strahlung: Gamma-Strahlung ist elektromagnetische Strahlung, wie auch sichtbares Licht oder Röntgenstrahlung, jedoch mit einer viel höheren Energie. Die Energie des sichtbaren Lichts liegt im Bereich eines Elektronvolts (1 eV), einer Energie-Einheit der Physiker. Röntgenstrahlen haben einige 100 eV bis einige  zig-eintausend eV. H.E.S.S. weist Gamma-Strahlen mit Energien bis zu tausend Milliarden eV nach, auch Tera-Elektronvolt (TeV) genannt. Diese sehr hochenergetischen Gamma-Strahlen sind sehr selten: sogar im Falle starker Quellen trifft nur etwa ein Gamma-Quant pro Monat pro Quadratmeter auf unsere Erdatmosphäre.

Extragalaktische Quellen hochenergetischer Gamma-Strahlung: Im Zentrum vieler Galaxien wird ein massives schwarzes Loch vermutet, das Massen von Millionen bis Milliarden Sonnenmassen erreichen kann. Wenn dieses schwarze Loch die umgebende Materie ansaugt, so können sich Materieströme relativistischer Teilchen ausbilden, die sich mit annähernd Lichtgeschwindigkeit bewegen. Man spricht dann von einer "aktiven Galaxie". Zeigt ein solcher Materiestrom auf die Erde, so nennt man die entsprechende Galaxie einen Blazar. Blazare sind die einzigen aktiven Galaxien, von denen hochenergetische Gamma-Strahlung nachgewiesen wurde, mit der bislang einzigen Ausnahme der viel näher gelegenen Radiogalaxie M 87.

Das H.E.S.S.-Team, eine international zusammengesetzte Forschergruppe von Astrophysikern und Teilchenphysikern, hat über die Entdeckung hochenergetischer Gamma-Strahlung aus der Radiogalaxie M 87 berichtet. Die Forschergruppe betreibt in Namibia ein System aus vier sogenannten Tscherenkow-Teleskopen, mit dem die Gamma-Strahlung der nahe gelegenen Radiogalaxie M 87 in den letzten vier Jahren gemessen wurde. Das überraschendste  Ergebnis ist dabei, dass sich die Intensität dieser Strahlung zum Teil innerhalb von nur wenigen Tagen drastisch ändert.

Die riesige Radiogalaxie M 87:
Die Radiogalaxie M 87 befindet sich im Virgo-Galaxienhaufen, 50 Millionen Lichtjahren von der Erde entfernt. Das Zentrum von M 87 beherbergt ein supermassives schwarzes Loch mit einer Masse von 3 Milliarden Sonnenmassen. Aus dem zentralen Bereich von M 87 tritt ein relativistischer Plasmastrom aus, ein sogenannter Jet, der in optischen-, in Radio- und in Röntgen-Aufnahmen sichtbar ist. Im Gegensatz zu den bislang nachgewiesenen extragalaktischen Quellen sehr hochenergetischer Gamma-Strahlung (Blazare, siehe Kasten), zeigt der Plasmastrom von M 87 aber nicht direkt auf die Erde, sondern weist mit einem Winkel von 30 Grad an ihr vorbei. Die aus Blazaren nachgewiesene Gamma-Strahlung wird vermutlich in den Plasmaströmen erzeugt, wobei die Intensität und Energie der Strahlung aufgrund der hohen Geschwindigkeit des Plasmastroms in Richtung des Stroms gebündelt und verstärkt wird. Solch gebündelte Strahlung aus dem Jet in M 87 würde aber die Erde gar nicht treffen. M 87 stellt daher vermutlich einen ganz neuen Typ extragalaktischer Quellen von hochenergetischer Strahlung dar.

Erste Anzeichen hochenergetischer Gamma-Strahlung aus M 87 wurden im Jahre 1998 von den HEGRA-Teleskopen (einem Vorgängerexperiment) entdeckt, die Messungen der H.E.S.S.-Teleskope stellen dieses Ergebnis nun auf eine solide Basis. Die Emission von M 87 ist sehr schwach, und keine andere Radiogalaxie wurde bislang im sehr hochenergetischen Gamma-Bereich nachgewiesen - vermutlich deshalb, weil die meisten Radiogalaxien weiter entfernt sind als M 87.

Was wir aus der Kurzzeitvariabilität lernen:
Aus der Zeitskala der Variabilität lässt sich die maximale Ausdehnung der Region bestimmen, aus der die Gamma-Strahlung kommt. Da die Gamma-Quanten aus den weiter entfernt gelegenen Bereichen der Quellregion länger zu uns brauchen, kann die gemessene Variabilitäts-Zeitskala nicht viel kürzer sein, als die Zeit, die die Strahlung benötigt, um die Quellregion zu durchqueren. Diese Methode wird häufig verwendet, um die Größe der Quellregion eines weit entfernten Objekts zu bestimmen und kann insbesondere auch dann benutzt werden, wenn die Quellregion so klein ist, daß sie mit anderen Techniken gar nicht mehr aufgelöst werden kann. Die von H.E.S.S. gemessene Variabilitäts-Zeitskala der hochenergetischen Strahlung von M 87 ist mit wenigen Tagen sehr kurz - kürzer als in jedem anderen Wellenlängenbereich. Die Quellregion der hochenergetischen Strahlung kann demnach nur etwa so groß sein wie unser Sonnensystem (1013 m, nur etwa 0.000001% der Größe der gesamten Radiogalaxie M 87). "Dies ist nicht viel größer als der Ereignishorizont des supermassiven Schwarzen Lochs im Zentrum von M 87", bemerkt Dr. Matthias Beilicke, einer der beteiligten Wissenschaftler von der Universität Hamburg. Relativistische Effekte, die in den sonstigen, bislang nachgewiesenen extragalaktischen Quellen (Blazare) eine Rolle spielen und die den Zusammenhang zwischen Zeitvariation und Quellgröße modifizieren, sollten im Fall von M 87 von untergeordneter Bedeutung sein, da der Plasmastrom von M 87 nicht auf die Erde gerichtet ist.

Die hochenergetische Gammastrahlung entsteht damit höchstwahrscheinlich in der unmittelbaren Umgebung des supermassiven schwarzen Lochs im Zentrum von M 87; andere Strukturen in M 87, wie beispielsweise der Plasmastrom, haben tendenziell größere Dimensionen. Die Physik der Emissionsprozesse ist allerdings noch nicht wirklich verstanden. Wegen der Nähe zum schwarzen Loch wird auch über ganz neuartige Mechanismen diskutiert; so könnten zum Beispiel im Feld eines rotierenden schwarzen Lochs Wasserstoffkerne auf extreme Energien beschleunigt werden und dann Gamma-Quanten abstrahlen. In dieser Umgebung des schwarzen Lochs wird auch ein Teil der vom schwarzen Loch angesaugten Materie in den relativistischen Plasmastrom umgeleitet; ein Vorgang, der unter Astrophysikern noch nicht genau verstanden ist. Die Tatsache, dass hochenergetische Gamma-Strahlung ungehindert aus dieser "aktiven" Region entkommen kann, mag auf den ersten Blick erstaunen. Dies ist jedoch möglich, da in das schwarze Loch in M 87 offensichtlich vergleichsweise wenig Materie einfällt, und es im Vergleich zu vielen anderen Schwarzen Löchern noch eine eher "harmlose" Umgebung darstellt.

Zukunftsweisende Resultate durch H.E.S.S.:
Mit dieser und den vorangegangenen Entdeckungen extragalaktischer Quellen liefert H.E.S.S. einen wichtigen Beitrag zur Entschlüsselung der Prozesse, die zur Erzeugung der außerordentlich hochenergetischen Gamma-Quanten führen. Die Radiogalaxie M 87 stellt ein einzigartiges Labor zur Untersuchung des Kerns einer solchen aktiven Galaxie dar, in deren Zentrum ein schwarzes Loch als kraftvoller Motor geladene Teilchen auf extrem hohe Energien beschleunigt. M 87 kann mit den zahlreicheren (aber weiter entfernten) Blazaren verglichen werden, in denen jedoch im Gegensatz zu M 87 der Plasmastrom unseren Blick auf die Zentralregion verbirgt. Mit Hilfe von H.E.S.S. konnte im Falle von M 87 nun ein klarer Einblick in den "Maschinenraum" einer Galaxie erreicht werden, der zu einem besseren Verständnis aller extragalaktischer Quellen hochenergetischer Gamma-Strahlung führen kann.

Kontakt-Adressen:

Dr. Matthias Beilicke &
Prof. Dr. Götz Heinzelmann
Institut für Experimentalphysik
Universität Hamburg
Luruper Chaussee 149
22761 Hamburg, GERMANY
Tel. +49 40 8998 2202 &
       +49 40 8998 2214

Prof. Dr. Felix Aharonian &
Prof. Dr. Werner Hofmann

Max-Planck-Institut für Kernphysik
Saupfercheckweg 1
69117 Heidelberg, GERMANY
Tel. +49 6221 516485 &
       +49 6221 516330

Dr. Arache Djannati-Ataï
AstroParticule et Cosmologie
Collège de France
11 place Marcelin Berthelot
75231 Paris Cedex 05, FRANCE
Tel. +33 1 4427 1478

Variabilität von M 87 auf verschiedenen Zeitskalen

Flussvariationen der hochenergetischen Gamma-Strahlung von M 87
Unten: Jahresweise Intensität als Funktion der Zeit, wie sie von H.E.S.S. (und HEGRA) beobachtet wurde. Oben: Nächteweise Variationen im Jahr 2005 mit Ausbrüchen auf Zeitskalen von wenigen Tagen.

M 87 in hochenergetischen Gammastrahlen Die Position der Gammaquelle in M 87 über einem Radiobild

Die Radio-Galaxie M 87 wie sie im sehr hochenergetischen Energiebereich von H.E.S.S. gesehen wird (links oder oben, Farbskala). Die gemessene Strahlung wirkt ausgedehnt, dies ist jedoch durch die Messgenauigkeit der Teleskope begründet. Eine wesentlich stärkere Einschränkung auf die Größe des Emissionsgebietes lässt sich aus der gemessenen Variabilität ableiten (siehe Text). Die schwarzen Linien geben die Struktur von M 87 im Radiobereich wieder. Rechts (oder unten): Ausschnittsvergrößerung. Die Radiogalaxie M 87 im Radiobereich bei Energien, die etwa 19 Größenordnungen geringer als die Gamma-Strahlung sind. Die Position der maximalen Emission der hochenergetischen Strahlung ist ebenfalls angegeben (Kreuz). Quelle des Radiobildes: F.N. Owen et al. (2000).

Bemerkungen zu H.E.S.S.


Die Forschergruppe: Der internationalen Forschergruppe des High Energy Stereoscopic System (H.E.S.S.) gehören Wissenschaftler aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Tschechien, Irland, Armenien, Südafrika und Namibia an.

Das Experiment: Die Resultate wurden mit den Teleskopen des High Energy Stereoscopic System (H.E.S.S.) in Namibia (Süd-West-Afrika) erzielt. Dieses System, bestehend aus vier Teleskopen mit einem Spiegeldurchmesser von je 13 m, ist zur Zeit das empfindlichste Experiment zur Messung sehr hochenergetischer, kosmischer Gamma-Strahlung. Diese Strahlung wird in der Erdatmosphäre absorbiert, wobei ein kurzlebiger Schauer aus vielen Millionen Teilchen entsteht. Die Teilchen senden hierbei sehr kurze (wenige Nanosekunden) und schwache Lichtblitze aus (sogenanntes Tscherenkow-Licht), welches von den extrem empfindlichen Kameras der H.E.S.S.-Teleskope aufgezeichnet wird. Jedes Bild entspricht einem einzelnen Gamma-Photon und aus der aufgezeichneten Lichtmenge lässt sich dessen Energie bestimmen. Durch die Kombination aller aufgezeichneten Ereignisse erhält man ein Bild des Himmels bei sehr hohen Energien.

Die H.E.S.S.-Teleskope wurden in mehreren Jahren von einem internationalen Team aus über 100 Wissenschaftlern und Technikern aufgebaut. Das Experiment wurde im September 2004 durch den Namibianischen Premierminister Theo-Ben Guirab eingeweiht und schon die ersten Resultate stellten wichtige Entdeckungen dar, wie beispielsweise das erste astronomische Bild einer Schockwelle in einer Supernova in den höchsten Gamma-Energien.

Pläne für die Zukunft: Die an H.E.S.S. beteiligten Wissenschaftler arbeiten weiter am Ausbau und an der Verbesserung der Teleskope. Die Installation eines weiteren, riesigen zentralen Teleskops mit einem Spiegeldurchmesser von 30 m(!) hat begonnen, wobei sich weitere Partnerländer, wie beispielsweise Polen, angeschlossen haben. Das verbesserte System (H.E.S.S.-II genannt) wird noch sensitiver sein und gleichzeitig einen größeren Energiebereich der Gamma-Strahlung abdecken, so dass der Katalog der hochenergetischen Gamma-Quellen um zahlreiche Objekte erweitert werden wird.

Fotografie der H.E.S.S.-Teleskope